Der Wirkstoff kommt nicht aus Asien, sondern vom Nachbargebäude. Rund eine Milliarde Penicillin-Tabletten zusätzlich werden noch im ersten Halbjahr bei Sandoz in Kundl/Tirol hergestellt. Die letzten Tests laufen gerade. Schon in Betrieb ist die neue Abfüllanlage für Trockensäfte, die als Antibiotika an Kindern verabreicht werden. Hier war Eile geboten, denn die Nachfrage war zuletzt stark angestiegen. Am Donnerstag erfolgte die feierliche Eröffnung der neuer Produktionsanlage, in der der am Standort produzierte Wirkstoff Amoxicillin abgefüllt und fertig verpackt wird.
Durch die Erweiterung verfügt Kundl nun über eine Produktionskapazität von 240 Millionen Packungen pro Jahr, was einer Verdoppelung der Produktionsmenge von 2021 entspricht. „Mit der in Kundl hergestellten Menge könnten wir theoretisch ganz Europa mit Antibiotika versorgen“, erläutert Rebecca Guntern, Europa-Chefin von Sandoz, im Gespräch mit dem KURIER. „Der Standort ist nicht nur für uns wichtig, sondern für die gesamte Antibiotika-Versorgung in Europa. Es sei der letzte verbliebene, vollintegrierte Standort vom Wirkstoff bis zur Fertigverpackung. „Jede zweite Verpackung Antibiotika, die in Europa verkauft wird, hat irgendwie mit Kundl zu tun.“
Weg vom Billigstbieter-Prinzip
Doch die Arzneimittel werden nicht nur in Europa, sondern in rund 100 Ländern weltweit exportiert. Eine Preisfrage. Denn in Mitteleuropa, besonders in Österreich, sind Medikamente, deren Patentschutz abgelaufen ist, besonders günstig. Dieser Generika-Preisabschlag entlastet zwar die Gesundheitssysteme finanziell, bringt die Hersteller aber in die Bredouille, weil sie die regulierten Preise trotz gestiegener Kosten nicht einfach erhöhen können und sich die Produktion daher nicht rentiert.
„Ohne Unterstützung der lokalen Regierungen und der EU wird es nicht gelingen, die Produktion weiter hier zu halten“, betont Guntern und stellt auch gleich Forderungen: „Wir brauchen eine wettbewerbsfähige Preispolitik und müssen vom Billigstprinzip weg.“ Bei öffentlichen Medikamenten-Ausschreibungen müssten neben den Preis auch Kriterien wie europäische Produktion, Umweltaspekte und Lieferfähigkeit berücksichtigt werden.
Sandoz mit Sitz in Basel zählt mit einem Portfolio von 1.500 Produkten zu den größten Generikaherstellern weltweit. Das seit dem Vorjahr vom ehemaligen Mutterkonzern Novartis wieder getrennte und börsenotierte Unternehmen setzte 2023 rund 8,85 Mrd. Euro um und beschäftigt 20.000 Menschen aus 200 Nationen
Standort Kundl/Tirol Die Biochemie Kundl entstand 1946 aus einer Brauerei und war eine der ersten Penicillin-Fabriken in Europa. 1963 erfolgte die Übernahme durch Sandoz. Aktuell sind 2.700 Mitarbeitende beschäftigt
Und eines sei ihr auch wichtig: „Wir wollen das, was wir in Europa produzieren, auch in Europa verkaufen können. Nur so kann verhindert werden, dass weitere Teile der Produktion ausgelagert werden.“ Erste Ausschreibungen nach diesem Prinzip gebe es schon in Norwegen oder Frankreich.
Als „kontraproduktiv“ bezeichnet Guntern die in Deutschland und Österreich beschlossene Bevorratung von wichtigen Medikamenten zur Grundversorgung. Lagerhaltung führezwangsläufig woanders zu Engpässen. „Wir müssen hier in der EU grenzüberschreitend denken, um flexibler auf Engpässe reagieren zu können.“ Konkret schlägt sie einen EU-weiten Engpassregister für Medikamente vor. „70 Prozent aller verschriebenen Medikamente in Europa sind Generika, aber sie machen nur 30 Prozent der Kosten aus“, rechnet Guntern vor. Zur Sicherung der Grundversorgung brauche es nachhaltige Rahmenbedingungen.
Nur wenige Antibiotika-Hersteller
Aus dem globalen Antibiotika-Markt ziehen sich indes immer mehr Pharmafirmen zurück. Bei 56 Prozent aller Antibiotika gibt es nur noch zwei Hersteller. „Die Angebotsvielfalt ist wichtig, damit nicht nur ein Hersteller mehr übrig bleibt und alle davon abhängig sind“, sagt Guntern. Das habe die Corona-Pandemie drastisch vor Augen geführt. Sandoz beschäftigt in Kundl 2.700 Mitarbeitende. Durch die neue Anlage würden aufgrund der gestiegenen Effizienz keine zusätzlichen gebraucht, heißt es.
Sandoz-Konzernchef Richard Saynor bedankte sich bei der österreichischen Regierung für die Förderung von 50 Mio. Euro. In Summe flossen 200 Mio. Euro in die Erweiterung. Ein neues Antibiotika-Werk auf die grüne Wiese zu stellen, koste 3 Milliarden Euro. Da sei es günstiger, einen bestehenden auszubauen. Größere Investitionen tätigt Sandoz derzeit auch in Slowenien und Polen.
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