US-Gewerkschaftsgründer: "Amazon hat uns unterschätzt"
Es ist eine David-gegen-Goliath-Geschichte. Und sie ist noch nicht vorbei. Im April 2022 geschah im Amazon Verteilzentrum JFK8 in Staten Island im US-Bundesstaat New York etwas, das zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte. Die Arbeiter gründeten erstmals bei dem als gewerkschaftsfeindlich geltenden Einzelhandelsriesen in den USA eine Gewerkschaft.
Maßgeblich an der Gründung der Amazon Labor Union beteiligt war der heute 36-jährige Chris Smalls. Er wurde daraufhin nicht nur ins Weiße Haus eingeladen, sondern fand sich plötzlich auch auf der Liste der einflussreichsten Personen der USA. Der KURIER hat den Gewerkschaftsgründer zu dem Arbeitskampf befragt.
KURIER: Sie haben bereits einige Jahre bei Amazon gearbeitet, bevor Sie die Gewerkschaft gründeten. Was war der Auslöser dafür?
Chris Smalls: Ich wurde vor vier Jahren entlassen, als ich eine Arbeitsniederlegung wegen COVID 19 anführte. Amazon hat nichts unternommen, um uns vor der Pandemie zu schützen. Wir haben zwar Artikel für alle anderen ausgeliefert. Was wir gebraucht haben, um uns zu schützen, haben wir aber nicht bekommen. Ich habe gegen meine Entlassung geklagt und damit begonnen, Arbeiter zu organisieren. Eineinhalb Jahre später hat das zur Gründung der Amazon Labor Union geführt.
Amazon hat die Gründung angefochten und sich geweigert, mit Ihnen zu verhandeln. Wo stehen sie jetzt?
Es ist immer noch nicht ausgestanden. Sie fechten seit fast 3 Jahren alles vor Gericht an. Aber wir konnten erst vor wenigen Tagen einen weiteren Sieg erringen und wurden als Gewerkschaft zertifiziert. Jetzt ergeht eine Anordnung an Amazon, die das Unternehmen dazu verpflichtet, sich mit uns an den Verhandlungstisch zu setzen.
In anderen Lagerhäusern haben die Arbeiter gegen die Gründung einer Gewerkschaft gestimmt. Wie haben Sie sich durchgesetzt?
Amazon hat uns unterschätzt. Jetzt wenden sie Millionen für Anwälte auf, um die gewerkschaftliche Organisation zu verhindern. Dabei brechen sie auch Gesetze. Das sorgt bei der Belegschaft für Angst und Sorge. Die Leute sind auf ihre Jobs angewiesen.
Chris Smalls wurde 1988 in New Jersey geboren. Nach einer kurzen Karriere als Rapper begann er 2015 im Amazon-Verteilzentrum JFK8 im New Yorker Bezirk Staten Island zu arbeiten. Nach Protesten wegen mangelnder Maßnahmen gegen COVID 19 wurde er entlassen. Als Aktivist betrieb er die Gründung der Amazon Labor Union
Derzeit weilt Smalls als Gast des Festivals für Kunst und Aktivismus „Wienwoche“ in der Bundeshauptstadt. Am Samstag, um 17.00 Uhr, wird er in der Kunsthalle am Karlsplatz über „Grassroot Unionizing“ sprechen.
Infos unter wienwoche.org
Ihr Erfolg in New York hat auch außerhalb Amazons Beispielwirkung gehabt?
Er hat sehr viel Aufmerksamkeit erregt. Es gab zahlreiche erfolgreiche Kampagnen. Bei Starbucks, Trader Joe, Google oder Apple wurden ebenfalls Gewerkschaften gegründet.
Ihr Zugang unterscheidet sich stark von traditionellen Gewerkschaften. Was machen Sie anders?
Die traditionellen Gewerkschaften organisieren gerne im Verborgenen. Wir sind lauter offener und setzen auf die Gemeinschaft. Wir setzen auch stark auf soziale Medien und andere Instrumente. Das bringt uns viele Vorteile, auch bei der Basisarbeit.
Gerade in der digitalen Plattform-Ökonomie, etwa bei Lieferdiensten, sind Arbeiter mit schwierigen Arbeitsbedingungen und schlechter Bezahlung konfrontiert. Was können sie von Ihnen lernen?
Wir waren unsere eigene Kavallerie. Anfangs hatten wir gerade einmal 2 Dollar und 50 Cent auf dem Konto. Wir haben auf der Crowdfunding-Plattform Gofundme um Spenden geworben und Amazon mit ganz wenig geschlagen. Wir hatten weniger als 100.000 Dollar. Es geht um die Macht der Menschen. Die kann von keinem Geld der Welt aufgewogen werden.
Amazon setzt zunehmend auf automatisierte Systeme und Roboter. Wohin entwickelt sich die Arbeitswelt?
Experten sagen, dass Künstliche Intelligenz und andere Technologien in den nächsten Jahren 50 Prozent der Arbeitsplätze in den USA und weltweit vernichten werden. Wir sind an dem Punkt angelangt, an dem das eine echte Bedrohung darstellt. Ich halte es für dringend notwendig, dafür zu sorgen, dass das nicht passiert. Den Gewerkschaften kommt dabei eine wichtige Rolle zu.
Sie wurden von der Politik hofiert und waren bei US-Präsident Joe Biden zu Gast. Im November wird in den USA gewählt. Welche Erwartungen haben Sie?
Aus der Politik haben wir erst Unterstützung erhalten, nachdem wir gegen Amazon gewonnen haben. Viele Politiker sagen, dass sie auf der Seite der Arbeiter stehen. Sie laden aber Konzerne ein, Lobbyarbeit zu betreiben und gehen nicht gegen Verstöße gegen Arbeiterrechte vor. Auch wenn die Demokraten an der Macht waren, haben wir in den vergangenen Jahren nicht viel bekommen. Es ist mir offen gesagt egal, wer Präsident wird.
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