Der Vorwurf, die Zentralbanken hätten zu lange mit Zinsschritten gewartet, sei berechtigt, findet Roemheld: „Sie hätten auf jeden Fall früher reagieren müssen und hätten das auch gut gekonnt. 2021 war ja wirtschaftlich ein Superjahr. Wenn man nicht in einer Wachstumsphase die Zinsen anhebt – wann dann?“ Seine Vermutung ist, dass die Inflation zu lange als Übergangseffekt unterschätzt wurde. Umso resoluter müsse jetzt vorgegangen werden.
Hohe Rezessionsgefahr
Wobei er vermutet, dass die Zentralbanken den „maximal härtesten Kurs“ kommunizieren, damit „der Markt die Restriktionen ein gutes Stück weit selbst vollzieht und so den Zentralbanken am Schluss möglicherweise die Gelegenheit gibt, ein bisschen vom Kurs abzuweichen“.
Dass es eine Rezession in Europa geben wird, ist für ihn so gut wie sicher. „Wir gehen von einer Rezession im Basisszenario mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 bis 90 Prozent aus.“ In den USA sind es 60 Prozent. Immerhin seien die USA unabhängiger bei der Energieversorgung und von Kriegshandlungen weiter weg. Andererseits sei es bei drastischer Zinserhöhung schwierig, eine Rezession zu verhindern.
Defensive Anlagestrategie
Ein schnelles Ende der Korrekturen an den Aktienmärkten ist nicht in Sicht, obwohl die bisherigen Kursrückgänge heftig waren. Mittel- bis langfristig sehe er jetzt aber einen guten Einstiegspunkt – der Bulle- und Bär-Indikator der Bank of America stehe bei „extrem bärisch“. Das tut er nur in extremen Krisen – am Tiefpunkt der Covid-Pandemie, in der Dotcom-Blase, in der Finanzkrise.
„Aber wir haben eine Phase vor uns, die zur Vorsicht mahnt“, schränkt Roemheld ein und plädiert für eine defensive Anlagestrategie. Roemheld empfiehlt klassische Dividendenzahler, also die Aktien stabiler Unternehmen, ebenso wie Tech-Titel, wobei man hier sehr genau differenzieren sollte. „In einem Szenario, in dem die Zinsen steigen, haben Wachstumsfelder natürlich größere Nachteile.“
Es müssen also Unternehmen sein, die Wachstum vorantreiben und Innovationskapazitäten haben. Auch Commodities, also etwa Rohstoffe, gehören für ihn ins Portfolio. Die wären zwar aus Nachhaltigkeitsgründen etwas aus der Mode gekommen, aber: „Für die Energiewende braucht es Rohstoffe.“ Roemheld ist überzeugt: „Aktien sollten eine noch höhere Gewichtung im Portfolio haben als bisher.“
Chance für mehr Innovation
Bei Anleihen ist er trotz steigender Anleiherendite skeptisch. Geht man von einer Inflation von rund drei Prozent für die kommenden Jahre per anno aus, „verliere ich real noch immer Geld“. Das ist bei Bundesanleihen der Fall. Hochzinsanleihen hätten den Nachteil, dass die Ausfallsraten bei Rezessionsgefahr steigen. Schwellenländer seien mittel- und langfristig die bessere Wahl. Generell sei China „als Anlageregion ganz interessant“.
Dass sich die Inflation schnell wieder erholt, glaubt Roemheld nicht. Immerhin sind die Handelsflüsse mit Russland wohl lange gekappt, Europa will Abhängigkeiten von Russland und auch China reduzieren. „Die Puffer hier zu erhöhen, kostet Geld und dauert sehr lange.“ Die gute Nachricht: Dieser schmerzhafte Prozess führe zu „mehr Innovation und mehr autarker Energieversorgung.“
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