Der Junge, der überlebt hat

Der Junge, der überlebt hat
Prävention: Über die Rolle der Medien in der Suizidforschung und welchen Einfluss Worte auf die Suizidrate haben.

Im Jahr 2017 veröffentlichte der Rapper Logic zusammen mit den Singer-Songwritern Alessia Cara und Khalid das Lied namens 1-800-273-8255, in dem er Suizid thematisierte. Der Titel des Liedes ist die Nummer der amerikanischen Hotline für Suizidprävention. Spannend ist, was nach der Veröffentlichung des Songs passierte. Denn eine Studie zeigt, aufgrund des Liedes fiel die Zahl der Selbsttötungen.

Weniger sensationsträchtig

Die mediale Berichterstattung hat einen erheblichen Einfluss auf die Suizidrate. Das weiß auch Prof. Thomas Niederkrotenthaler. Er ist Suizidforscher am Zentrum für Public Health an der MedUni Wien und arbeitet beinahe 20 Jahre lang in dem Bereich: „Wir sind global federführend in der Forschung, wie sich der Konsum von Medien auf die Suizidalität auswirkt.“ So lässt sich grundsätzlich sagen, dass nach sensationsträchtigen Berichten die Suizidrate steigt. „Wird beispielsweise über einen Suizid eines Promis berichtet, steigt sie um etwa 13 Prozent“, sagt Niederkrotenthaler. Ein weiteres Negativbeispiel dazu betrifft eine Szene in der Serie „Tote Mädchen lügen nicht“. Netflix hat die Szene, in der sich ein Mädchen das Leben nahm, hinausgeschnitten, nachdem in den USA die Suizidalität unter Mädchen um 22 Prozent gestiegen ist. In Österreich ist man diesbezüglich schon seit Jahren einige Schritte voraus. „Bereits in den 80er-Jahren haben wir Empfehlungen für Medien herausgearbeitet und veröffentlicht. Und jene Medien, die sich daran gehalten haben, schrieben weniger sensationsträchtig und das wirkte sich positiv auf die Suizidrate aus“, sagt Niederkrotenthaler. Jetzt könnte man einwenden, dass man einfach gar nicht darüber berichten sollte. „Nicht darüber reden hat stigmatisierende Effekte und es findet so keine Aufklärung statt. Also mussten wir erforschen, wie man Berichterstattung so gestalten kann, dass sie sich positiv auf die Suizidalität auswirkt.“

Positive Vorbilder

Laut dem Forscher sind vor allem Bewältigungsgeschichten sehr sinnstiftend. „Wenn Betroffene erzählen, wie sie mit ihrem Schicksal und ihren Gedanken an einen Suizid umgegangen sind und wie sie es da raus geschafft haben, dann ist das für andere eine positive Vorlage“, erklärt Niederkrotenthaler. Das zeigt letztlich auch, welchen Einfluss Worte auf uns haben. Das Ziel des Forschers und das von seinem Team ist, Suizid zu verhüten und für Medienhäuser, aber auch für die breite Öffentlichkeit, Aufklärung zu betreiben. „Präventionsmaßnahmen sind ein großer Grund dafür, warum die Suizidrate in Österreich seit 1986 um 50 Prozent zurückgegangen ist.“

Harry Potter studieren

Eines der aktuellen Forschungsprojekte, mit dem sich das Team vom Zentrum für Public Health an der MedUni Wien derzeit beschäftigt, ist eine groß angelegte Studie inspiriert von einem Pilotprojekt aus Toronto, Kanada. Dieses befasste sich mit dem dritten Band der Harry Potter Serie. Harry Potter und der Gefangene von Askaban dient hierbei als Vorlage für Schüler*innen, psychische Ressourcen zu entwickeln. „Anhand des Buches werden Fähigkeiten erarbeitet, wie die Jugendlichen mit Schwierigkeiten umgehen können. Die Reflexionsfähigkeit der jungen Leser*innen wird dadurch gestärkt und in dem Pilotprojekt zeigte sich, dass sich die Ängstlichkeit der Schüler*innen gesenkt hat“, sagt Niederkrotenthaler. Harry Potter, der Junge, der überlebt hat, als Vorbild für psychische Resilienz. Ein anderes Forschungsprojekt vom Zentrum für Public Health beschäftigt sich mit LGBTQ+ Jugendlichen. „Minoritäten sind eine Risikogruppe von Suizidalität“, sagt Niederkrotenthaler. Bei dieser Studie fokussieren sich die Forscher*innen darauf, wie man Eltern unterstützen kann, wenn sich die eigenen Kinder als homosexuell oder transident outen. Wie geht man damit um, wenn sich die Jugendlichen unsicher fühlen und Fragen haben? Was kann Eltern helfen, die möglicherweise selbst ein Thema damit haben?

„In der Studie sehen sich Eltern Videos von anderen Eltern an, die bereits durch diesen Prozess gegangen sind. Durch ihre Erzählungen lernen sie, wie ein liebevoller Umgang mit dem Thema gelingen kann und was ihnen letztlich geholfen hat“, sagt Niederkrotenthaler. Er und sein Team messen dann anhand von Fragebögen und partizipativen Workshops die Auswirkungen auf die Eltern, die sich diese hilfreichen Videos angesehen haben. Ein weiteres Beispiel dafür, welchen Einfluss Medien auf den Umgang mit Suizidalität haben können und wie wichtig die richtigen Worte sind. Und wie wichtig es ist, die richtigen Worte als Betroffene*r zu lesen oder zu hören. Davon kann Logic nur ein Lied singen.