Eine Expertin erklärt, wie Träume entstehen

"Bewusstes Träumen kann man lernen", sagt Traumforscherin Brigitte Holzinger.
Was träumt der Mensch, wie tut er es – und warum? Eine Traumforscherin über neueste Erkenntnisse und die Kunst des luziden Träumens.

Ein Viertel seines Lebens verbringt der Mensch träumend. Nacht für Nacht erzeugt das Gehirn schräge Szenen, unlogische Bilder und flüchtige Gedanken, die rasch wieder vergessen werden. Aber wie kommt es überhaupt zu diesem Kopfkino?

Brigitte Holzinger, Leiterin des Instituts für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien, spricht über die Funktion des Traums und wie Menschen lernen können, ihre Traumwelt für sich zu nützen. Zum Beispiel, indem sie lernen, "klar" zu träumen.

KURIER: Was ist ein Traum – das Produkt der Psyche, das Ergebnis feuernder Neuronen oder Verarbeitungsmechanismus?

Brigitte Holzinger: Da gibt es verschiedene Schulen und Richtungen, aber man kann davon ausgehen, dass der Traum alles das ist, was Sie gerade beschrieben haben. Was wir jedenfalls wissen ist, dass der sogenannte REM-Schlaf, in dem der Traum stattfindet, uns mental und psychisch auf den nächsten Tag bestmöglich vorbereitet. Da geht es um Verarbeitung von Erlebtem vom Vortag.

Da geht es im Gehirn richtig rund, da passiert viel ...

Ja freilich, das Gehirn oder der Cortex ist während des Träumens so aktiv wie im Wachzustand. Würde man die Muskelspannung bei der Klassifikation von Schlafstadien nicht miteinbeziehen, könnte man den REM-Schlaf vom Wachsein nicht unterscheiden. So aktiv ist das Gehirn im REM-Schlaf.

Träumt man auch im Tiefschlaf?

Es gibt verschiedene Schulen, die das unterschiedlich diskutieren. Die einen sagen, man träumt nur im REM-Schlaf, die anderen sagen, wir träumen immer. Meine Auffassung ist, dass wir im REM-Schlaf träumen, aber nicht ausschließen können, dass wir in anderen Schlafstadien nicht auch traumähnliche Vorgänge erleben. Es ist nicht geklärt. Geklärt ist, dass man im REM-Schlaf träumt, und dass es beim Einschlafen Prozesse geben kann, die einem Traumerleben gleichkommen.

Viele Menschen sagen von sich, sie träumen nie. Gibt’s das?

So weit wir das heute sagen können, ist es so, dass jeder Mensch träumt. Aber vielleicht ist es ganz sinnvoll, dass wir uns nicht alle Träume merken, insofern es auch sinnvoll ist, dass wir nicht alles registrieren, was wir wahrnehmen. Aus meiner Sicht hat der Traum definitiv etwas mit einer sinnlichen Verarbeitung von Erlebtem zu tun – er ist also als eine Sinnesleistung zu verstehen. Oder als eine Durcharbeitung, eine Erholung, eine Neujustierung. Es ist wahrscheinlich ein Glück, dass wir uns das alles nicht merken, weil wir dann vermutlich überfordert wären.

Warum sind manche Träume so unlogisch und verrückt?

Ob die wirklich immer so verrückt und unlogisch sind, ist die Frage. Genauer betrachtet zeigt sich ja, dass die ganz verrückten Träume gar nicht so oft vorkommen, wie man glauben würde. Träume werden nicht von jener Logik bestimmt, wie wir sie im Wachzustand kennen, sondern es geht um emotionale Zusammenhänge. Da kommt es dann zu den verschiedensten Verschränkungen abseits von Logik. Wer sich darauf einlassen mag, kann trotzdem Zusammenhänge erkennen. Der Traum arbeitet vermutlich dem EQ zu.

Dafür müsste man lernen, sich seine Träume zu merken – geht das?

Ja. Das kann man lernen, unterstützen und fördern. Nur ich glaube, dass der Traum tut, was er soll, auch wenn wir ihn uns nicht merken. Überspitzt würde ich sagen, dass der Traum eine kleine Psychotherapie ist, die wir jede Nacht mit uns machen, egal ob wir uns seine Inhalte merken oder nicht.

Sie beschäftigen sich mit luzidem Träumen, dem Klartraum. Was ist das Besondere daran?

Ich hatte die Ehre, eine der ersten Studien zur Physiologie des luziden Traumes gemacht haben zu können, 1988 an der Stanford University im Silicon Valley unter der Leitung von Stephen LaBerge. Das hat mich als Psychotherapeutin fasziniert. Beim Klartraum macht man etwas, was man sonst beim Träumen kaum macht – man überlegt logisch und setzt den Verstand ein. Wenn ich weiß, dass ich träume, und weiß, dass ich klar entscheiden kann, dann handelt es sich um einen Klartraum. Auf diese Weise eröffnen sich neue Möglichkeiten und Freiheiten – ich habe die Wahl im Traum. Und das ist erlernbar.

Eine Expertin erklärt, wie Träume entstehen

Wie lange braucht's, um das zu lernen – welchen Nutzen habe ich?

Das kommt auf den Menschen an, manche lernen das ganz schnell. Andere brauchen sehr lang dazu, je jünger, desto leichter. Was es bringt: Das luzide Träumen ist ein wunderbarer Zustand mit hohem Potenzial. Und es kann große Veränderungen für Menschen bringen, die unter Albträumen leiden, weil man sich diesem Albtraum entziehen oder ihn sogar bewältigen kann und dann endlich durchschlafen kann.

Sie haben die Technik "Dream Sense Memory" entwickelt ...

Ja, die soll Menschen, die sich für Träume interessieren, eine Unterstützung bieten, wie man mit der Zeit eine Art Spürsinn für das Träumen entwickelt für das, was Träume wollen. Ich gehe davon aus, dass der Traum eine sinnliche Durcharbeitung ist, ein sinnliches Ereignis. Das eine Erfahrung, ein Gefühl und einen Inhalt bringt und etwas will. Wenn ich dem nachgehe, oder wenn ich den Traum erzähle, und dabei nachspüre, was ich körperlich wahrnehme, komme ich dem auf die Spur, womit sich der Traum beschäftigt.

Ist individuell verschieden, was ein Traum bedeutet? Wie stehen Sie zu Traumdeutungsbüchern?

Natürlich leben wir alle in einer ähnlichen Kultur, trotzdem: Es gibt ein Kunstwerk von einem selbst und ein anderer kreiert ein anderes Kunstwerk von sich in der Nacht. Ich fände es schade, würde man alles über einen Kamm scheren wollen. Man kann solche Bücher lesen und sich von ihnen inspirieren lassen, soll sie aber nicht für bare Münze nehmen. Man selbst hat die Fähigkeit, seinen Träumen auf die Spur zu kommen, und mit meiner Methode ist es möglich, seinen Traumsinn zu entwickeln.

Warum wiederholen sich manche Träume?

Ich meine, dass sich ein Traum mit der gegenwärtigen Situation beschäftigt, aber auch mit dem, was passieren wird, mit der Zukunft. Er will uns vorbereiten. Wenn man eine Lebenssituation auf eine ähnliche Art erlebt, dann kann es sein, dass ähnliche Träume auftauchen oder wiederkehrende Träume. Was ich zum Beispiel oft höre ist, dass Menschen von der Mathematikmatura träumen und sie sie nicht schaffen, obwohl sie es einst geschafft haben. Jetzt kann man sich überlegen, ob man sich wieder in einer Art Prüfungssituation befindet. Im Traum wird sinnlich eine Angst erlebt, die bewältigt werden möchte. Das ist eine Hilfestellung: So hast du das einst bewältigt, so kannst du es auch heute bewältigen. Es wird ein Motor in Gang gesetzt.

Habe ich das richtig verstanden: Wir können mit Träumen in die Zukunft blicken?

Ich meinte nur, dass der Traum uns auf etwas vorbereitet. Möchte aber nicht ausschließen, dass wir Ahnungen haben und die sich im Traum zeigen können, weil wir mehr wissen, als uns bewusst ist. Das wäre dann vermutlich eher kein kognitives Wissen, sondern intuitives.

TIPP: Symposium "Der (luzide) Traum in der Kunst, die Kunst des (luziden) Träumens " am 30. Oktober 2017, Jugendstilhörsaal, MedUni Wien, Internationale Gesellschaft für Schlafcoaching.

Wunsch und Begehren

Mit dem Thema Traum als "Hüter des Schlafs" setzt sich auch der Wiener Psychoanalytiker Walter Hoffmann vom Institut für Angewandte Tiefenpsychologie auseinander – demnächst in einem neuen Buch (siehe Seite 2). Er ist überzeugt, dass sämtliche Wünsche und alles Begehren, das wir am Tag gut kontrollieren, in den nächtlichen Träumen auf entstellte Art und Weise zum Vorschein kommen. "Das ist nicht nur die Sicht der Psychoanalyse, sondern auch die Sicht der Gehirnphysiologie. So hat der südafrikanische Neurowissenschaftler Mark Solms entdeckt, dass eine Region im Frontalhirn, der Nucleus accumbens – das Belohnungszentrum – für die Entstehung von Träumen zuständig ist." Auch viele Tagträume hätten laut Hoffmann Wunscherfüllung zum Inhalt: "Alles, was wir so fantasieren, geht in diese Richtung", sagt er. Unterschiedlich sei nur der Bewusstseinsgrad.

Deutung für KURIER-Leser

Obwohl der Mensch höchst unterschiedlich träumt, kommen bestimmte Träume öfter vor. Hoffmann hat sich damit beschäftigt und die "Nachtfilme" der Österreicher analysiert. "Besonders oft haben wir jene typischen Albträume, in denen wir voll Panik aus dem Schlaf hochschrecken. Am häufigsten sind jedoch erotische Träume, in denen man stark erregt ist, sexuelle Handlungen durchführt und Wünsche erfüllt werden, auf die man im Wachleben verzichten muss", sagt der Psychoanalytiker. Schließlich gehe es in vielen Träumen auch um drohenden Kontrollverlust – man fürchtet etwa, aus schwindelnder Höhe herabzustürzen.

Hoffmann bietet nun den KURIER-Lesern als Gratisservice an, ihre persönlichen Träume auszuwerten, zu interpretieren sowie zu deuten. Unter diesem Link finden Sie einen Traum-Fragebogen zum Ausfüllen.

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