Die unglückliche Mutter des Muttertags

Anna Jarvis kämpfte für die offizielle Anerkennung und Ehrung der Mütter - und bereute ihr Engagement am Ende ihres Lebens.

Als Anna Jarvis am 12. Mai 1908 vor der Methodistenkirche in Grafton weiße und rote Nelken an Mütter verteilt, ahnt sie noch nicht, dass sie damit den Grundstein für einen Internationalen Feiertag legt. Es ist der dritte Todestag ihrer Mutter Ann Maria und der zweite Jahrestag, an dem Anna in ihrer Heimatkirche ihrer Mutter und all den anderen Müttern gedenken will. Ein Anliegen, das auch Ann Maria Reeves Jarvis Zeit ihres Lebens beschäftigt hat: Sie rief Mütter-Klubs in den lokalen Kirchen ins Leben, die für eine neutrale Haltung im Krieg standen und Gesundheitskurse für Frauen anboten. Während des Bürgerkriegs (1861 - 1865) gründete sie in Webster die Mother's Friendship Days, um damit für Verwundete beider Kriegsparteien zu sammeln. Ein für sie notwendiger Beitrag zum Frieden: Im kriegsstrategisch gut gelegenen Webster waren Truppen der Nord- und Südstaaten - der Union und der Konföderation - stationiert.

Anna Jarvis wird am 1. Mai 1864 in Webster, West Virginia, als neuntes von 13 Kindern geboren. Der Bürgerkrieg naht seinem Ende, vier ihrer Geschwister überleben ihn nicht. Ein Jahr später zieht die Familie - der Vater ist Baptistenpfarrer - nach Grafton. Als Anna 12 Jahre alt ist, hinterlässt eine Predigt ihrer Mutter bei ihr nachhaltigen Eindruck. "Ich hoffe, dass eines Tages jemand einen Gedenktag für Mütter ins Leben ruft, der sie für ihre beispiellosen Dienste an der Menschheit ehrt." Anna vergisst diese Worte nie. Viel später, am Grab ihrer Mutter, murmelt sie: "… mit der Gnade Gottes sollst du deinen Muttertag haben."

Unermüdlicher Kampf

In den nächsten Jahren kämpft Anna unermüdlich für den Wunsch ihrer Mutter. Gemeinsam mit Helferinnen schickt sie hunderte Briefe an Politiker, Geschäftsleute und Frauenvereine. Sie fordert mehr Anerkennung für die Frauen, die zuhause bleiben, den Haushalt führen und Kinder großziehen. Am Muttertag sollen die Kinder mit ihren Müttern Zeit verbringen, ihnen schreiben oder mit ihnen telefonieren.

Annas Kampagne ist anfangs nicht von Erfolg gekrönt. Den Durchbruch schafft sie erst mit der finanziellen Hilfe des reichen Kaufmanns und ehemaligen Postministers der USA, John Wanamaker, in Philadelphia. 1908 wird der Muttertag erstmals in der Stadt gefeiert. Nur ein Jahr später ist der Tag bereits in 45 Staaten geläufig - darunter auch in Puerto Rico, Hawaii, Kanada und Mexiko. Die Menschen tragen rote und weiße Nelken - rot steht, ganz im Sinne Annas, für die lebenden, weiß für die verstorbenen Mütter. 1911 wird der Muttertag in fast jedem US-Staat gefeiert. 1914 ist es dann soweit: US-Präsident Woodrow Wilson erklärt den Muttertag zum Nationalen Feiertag.

Gegen Kommerzialisierung

In den Jahren darauf wird dieser Tag immer kommerzieller gefeiert, Grußkarten, Blumen und Konfekt werden in nie dagewesenem Ausmaß gekauft. Anna nimmt das mit Gram zur Kenntnis: Ihr nobler Feiertag wird von der Wirtschaft ausgebeutet. Sie stellt sich immer mehr gegen den Verkauf von Blumen und vorgefertigten Grußkarten. Letztere hält sie "für eine schlechte Entschuldigung für den Brief, den du zu faul bist zu schreiben." Das Blatt hat sich gewendet: Anna kämpft für die Abschaffung des Feiertags und bereut sogar, ihn jemals ins Leben gerufen zu haben. In den 1920ern lässt sie sich daher als Gesellschafterin der Mother's Day International Association eintragen, um den urheberrechtlichen Schutz am zweiten Sonntag im Mai zu beanspruchen. Die Feier des Muttertags versucht sie, gerichtlich zu unterbinden - die Klage wird aber abgewiesen. Das geht sogar soweit, dass sie 1923 eine Muttertagsfeier stört. Daraufhin wird sie verhaftet und kommt kurzzeitig ins Gefängnis.

Am 24. November 1948 stirbt Anna Jarvis in West Chester, Pennsylvania, in einem Altersheim: alleine, kinderlos, verarmt. Was sie nicht weiß: Ihre Kosten für das Altersheim haben ausgerechnet Blumenhändler übernommen.
Der "International Mother's Day Shrine" in der Andrews Methodist Church in Grafton erinnert noch heute an das Wirken von Anna Jarvis und ihrer Mutter.

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