Hippies & High Fashion
In den Sechzigern Pflegepersonal und Anhängern der Friedensbewegung vorbehalten, gelten die Sommerschuhe mit dem tiefen Fußbett – die Form ist einer Trittspur im Sand nachempfunden – heute als kultiges Modeaccessoire. Instagram, die Lieblingsplattform der Fashionistas, verzeichnet mehr als eine Million Beiträge mit dem Hashtag #birkenstock. Das britische Designmuseum wählte sie unlängst gar unter die „50 Schuhmodelle, die die Welt veränderten“.
„Guter Zeitpunkt, halb New York trägt gerade Birkenstock“, sagt Yella Hassel, Designerin und Dozentin an der Modeschule Hetzendorf, als sie der KURIER in den USA erreicht und um eine Einordnung des Hypes bittet. Schließlich hat sich einiges getan, seit Karl Birkenstock 1963 mit dem Modell „Madrid“ die erste Tieffußbett-Sandale auf den Markt brachte. „Das waren Gesundheitssandalen – breit, hässlich, extrem bequem und völlig unsexy. Ihnen haftete jahrelang der spröde Charme von Intellekt, Altruismus und ‚Atomkraft, nein danke‘ an“, blickt Hassel zurück.
Dann, Mitte der Neunziger, die Trendwende: Marc Jacobs holte die Gesundheitslatschen auf den New Yorker Laufsteg und weckte die Neugierde der Mode-Gurus. Der große Durchbruch kam im Oktober 2012, als Céline-Chefdesignerin Phoebe Philo ihre Models in flachen Sandalen mit breiten Riemen und Pelzbelag auf den Runway schickte – von Modekritikern halb entsetzt, halb verzückt „Furkenstocks“ getauft. Zeitgleich brachten andere namhafte Labels flache Sandalen heraus.
Die sündteuren und unbequemen High Heels, lange Inbegriff für weibliche Erotik, hatten Konkurrenz bekommen. Hassel: „Plötzlich war der Birkenstock ein selbstbewusstes Statement für die intellektuelle und lockere Fashionista, die mit rot lackierten Zehennägeln in ‚Furkenstocks‘ unterwegs war.“
Umwelt & Feminismus
Es folgte das bis dato erfolgreichste Jahr der Birkenstock-Geschichte mit zwölf Millionen verkauften Schuhen, bis 2020 sollen sich die Verkäufe verdoppeln. Dabei hat das deutsche Traditionsunternehmen weder Design noch Philosophie geändert, bis vor Kurzem gab es nicht einmal eine Marketingabteilung. Die volle Aufmerksamkeit galt stets dem Fußwohl. Es war der Zeitgeist, der Birkenstock in die Hände bzw. Füße spielte.
Der neu aufgeflammte „Ugly-Shoe-Trend“ war Teil einer großen feministischen Strömung, die in der #MeToo-Bewegung vor zwei Jahren ihren vorläufigen Höhepunkt fand: Frauen lösten sich von der Idee, „reines Transportmittel sexueller Fantasie“ zu sein, formulierte es Oliver Reichert, einer der beiden Geschäftsführer. „Seit Kristen Stewart 2015 in Cannes auf dem roten Teppich ihre schwindelerregend hohen Louboutins als Solidaritätsakt gegen das modische High-Heels-Diktat ausgezogen hat, ist viel passiert“, sagt Modeexpertin Hassel. „Frauen-Empowerment und Modebewusstsein sind dank Designkooperationen auf dem Vormarsch.“
Nur ausgewählte Designer lässt Birkenstock an die Kork-Sohle, 2018 gab es eine Kooperation mit Rick Owens, bei den Oscars 2019 erschien Frances McDormand in gelben „Arizonas“ von Valentino auf der Bühne. Auch das neue Öko-Bewusstsein befeuert den Erfolg.
Lange bevor Greta Thunberg für die Umwelt auf die Straße ging und Billigmode in Verruf geriet, verschrieb man sich der Nachhaltigkeit: Produziert wird in Deutschland und Portugal, an den Fuß kommen nur natürliche Ressourcen wie Kork und Naturlatex.
Offen bleibt: Wie ist das nun mit Birkis im Büro? „Fehl am Platz sind sie eigentlich nie“, findet Hassel, Polarisierung hin oder her. „Hier vereinen sich Tragegefühl, Haltung, Mode und Trend. Seit der Schuh seinen Kultstatus innehat, ist er von einer nonchalanten ‚Fuck off‘-Attitude umweht. Das gefällt mir.“
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