Denn Wolfgang Kindl hat eine lange Leidenszeit hinter sich. In den vergangenen Saisonen war der Doppelweltmeister von 2017 ins Hintertreffen geraten und fast immer nur noch in der Rubrik unter ferner rodelten zu finden. Weil Kindl wegen seiner körperlichen Defizite schon von klein auf viel Zeit in der Kraftkammer verbrachte, litt er immer häufiger unter Beschwerden. Mal zwickte die Bandscheibe, dann rebellierte n der Nacken, selten einmal saß er schmerzfrei auf dem Schlitten.
„Es war zach. Ich bin in der Bahn einfach nicht auf Tempo gekommen. Und zwölfte Plätze sind einfach nicht mein Anspruch.“
In dieser schwierigen Zeit stellte sich Kindl nicht nur einmal die Sinnfrage. Spielt der Körper noch mit? Wird er jemals wieder konkurrenzfähig? „Ich habe oft daran gedacht, aufzuhören“, gesteht der Routinier.
Denn gerade er muss im Vollbesitz seiner Kräfte sein, um nicht schon am Start das Rennen zu verlieren. Das berühmte Pratzeln, diese kräftigen Paddelschläge mit den Händen, ist im Kunstbahnrodeln richtungsweisend. Wer auf den ersten Metern zu viele Hundertstelsekunden verliert, der kann das während der Fahrt kaum noch wettmachen. „Mir war klar, dass ich nie der schnellste Starter sein werde“, sagt Kindl, „andererseits heißt unser Sport auch nicht Starten, sondern immer noch Rodeln.“
Viel Gefühl
Und die Kunst des Kunstbahnrodelns beherrscht der Tiroler bekanntermaßen wie kaum ein Zweiter. Und gerade auf der längsten Bahn der Welt konnte Kindl seine große Stärke perfekt ausspielen: sein Fahrgefühl. „Dass ich in der Bahn schnell bin, habe ich immer gewusst. Mein großes Glück war, dass ich verletzungsfrei über den Sommer gekommen bin. So konnte ich mich auf meine Stärken konzentrieren.“
Und so, wie Kindl in den vergangenen Wochen auf Touren gekommen ist, musste man mit dieser Medaille fast schon rechnen. Nach der langen Leidenszeit gewann er plötzlich wieder Rennen, bei der Olympia-Generalprobe holte er EM-Gold.
„Das kommt fast schon wieder an die Höchstform an, die ich vor drei, vier Jahren hatte. Es fühlt sich beim Rodeln auch wieder so an“, sagt Kindl. Diesmal hat er nicht nur alle Skeptiker und Besserwisser überzeugt, er hat vor allem sich selbst überrascht.
„Ich hätte mir nicht gedacht, dass es noch einmal so aufgeht.“
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