Der Herr der Olympia-Ringe: Wer ist IOC-Präsident Thomas Bach?
Der Deutsche gefällt sich in der Rolle als Kümmerer auf Augenhöhe mit den Staatschefs dieser Welt. Er muss aber auch Kritik einstecken.
04.02.22, 05:00
Von Benedikt Paetzholdt
Thomas Bach sitzt im Zentrum der Macht. Der deutsche Präsident des Internationalen Olympischen Comités hat im Pekinger Staatsgästehaus Diaoyutai gegenüber von Chinas Staatspräsident Xi Jinping an einem hölzernen Konferenztisch Platz genommen. Bach ist der erste ausländische Besucher, den Xi seit Beginn der Pandemie 2020 eingeladen hat.
Es ist kein Zufall, dass der Sportfunktionär empfangen wird wie sonst nur Staatenlenker. Die Szenerie aus der vergangenen Woche bietet Bachs Kritikern neue Nahrung. Als vermeintlicher Hüter der olympischen Werte, der seiner Aufgabe nicht nachkommt, steht das IOC in der Kritik. Vor allem die Rolle von Bach (68) wirft Fragen auf. Er leitet die Geschicke des Olympiakonzerns seit 2013 – genauso lange wie Xi Jinping Staatspräsident der Volksrepublik China ist.
Gewaltig klafft die Lücke zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung des Juristen und einstigen Olympia-Fechters. Hier die Ambition, ein Vermittler des internationalen Dialogs zu sein, dem der Wunsch nachgesagt wird, eines Tages den Friedensnobelpreis zu erhalten. Dort die Wahrnehmung als skrupelloser Machtmensch, dem wirtschaftliche Interessen wichtiger zu sein scheinen als die Ideale des Sports.
Die Kritik tönt immer lauter, je näher der Auftakt der Veranstaltung an diesem Freitag rückt. Entgegen der Tradition schicken zahlreiche Länder keine politischen Vertreter nach China. Viele Nationen raten zudem ihren Athleten davon ab, ihre Handys zu benutzen – aus Sorge, von der verpflichtenden App „My2022“ ausgespäht zu werden. Und natürlich schwebt über allem die Frage, warum ein Land Olympia ausrichten darf, das Menschenrechte mit Füßen tritt: Beispiele dafür sind die Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang, das brutale Vorgehen gegenüber den Tibetern und ihren Unterstützern und die Niederschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong.
Schein und Sein
In einem IOC-Clip sind Zitat-Sequenzen eingebettet, die fast komisch wirken, weil China als idealer Gastgeber stilisiert wird. Da ist von „grünen, sauberen und korruptionsfreien“ Spielen die Rede, was angesichts der Umweltzerstörung anlässlich der Spiele einer Scheinrealität gleichkommt.
Aufnahmen wie diese vermitteln den Eindruck, dass Bach und das IOC sich von der PR-Show vereinnahmen lassen. „China ist jetzt eine Wintersportnation“, sagte Bach. Das sei der Beginn einer neuen Ära für den globalen Wintersport. Eine Entwicklung, die ganz dem Anspruch Bachs entspricht, dass die olympische Bewegung um sich greift und neue Zielgruppen erfasst. Peking ist zugleich die erste Stadt, die sowohl Sommer- als auch Winterspiele ausrichtet – in einem Abstand von gerade mal knapp 14 Jahren. Infrastruktur entsteht in rasantem Tempo und gewaltigem Ausmaß. Auch wenn solche Tatsachen der IOC-Agenda 2020 entgegenlaufen, in der das Ziel ausgegeben wurde, Olympia nachhaltiger durchführen zu wollen.
Neben Peking bewarb sich bis zum Schluss allerdings nur noch die kasachische Stadt Almaty um die Spiele in diesem Jahr. Sodass das IOC sich genötigt fühlt, international umstrittene Akteure zu hofieren, gar vor ihnen zu buckeln.
Der Vermittler
Ein Eindruck, der sich im vergangenen November verstärkt hatte, als Bach ein Videotelefonat mit der chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai führte. Die ehemalige Nummer eins der Doppel-Weltrangliste hatte in einem später zensierten Beitrag auf der Social-Media-Plattform Weibo Spitzenpolitiker Zhang Gaoli der sexuellen Nötigung bezichtigt und war daraufhin wochenlang verschwunden. Was mit der Sportlerin in der Zwischenzeit passierte, wird wohl nie ganz aufgeklärt werden. Die IOC-Kernbotschaft nach diesem Gespräch aber lautete: Sie ist wohlauf. Das vom IOC veröffentlichte Foto der Unterredung präsentiert Bach als Kümmerer.
In der Rolle des Vermittlers gefiel sich Bach besonders während der letzten Winterspiele in Südkorea. Bei der Eröffnungsfeier saß er neben Kim Yo-jong, Schwester des nordkoreanischen Machthabers, und Südkoreas Präsident Moon Jae-in. Dass eine nordkoreanische Sportlerin und ein südkoreanischer Sportler die Vereinigungsflagge durch das Stadion trugen, sollte zudem das Signal aussenden, welche Kraft der Sport haben kann.
Der Kämpfer
Grundlagen für Bachs Wirken finden sich in einem Lebenslauf. Mit 14 Jahren verlor er seinen Vater und musste früh lernen, sich durchzukämpfen. Das galt symbolisch wie sportlich, mit dem Florett. Der gebürtige Würzburger gewann 1976 mit der westdeutschen Olympia-Mannschaft die Goldmedaille in Montréal. Vier Jahre später stand er als Athletensprecher im Zentrum der Diskussionen um den Boykott der Spiele in Moskau, nachdem die Sowjetunion 1979 in Afghanistan einmarschiert war.
Bach empfand es als Kränkung, dass er bei Bundeskanzler Helmut Schmidt kein Gehör fand mit seiner Bitte, die Sportler dennoch in Moskau antreten zulassen. Später sagte er: „Das war heftig. Bis hin zu Briefen, wo man als Kommunistenschwein oder Vaterlandsverräter bezeichnet wurde.“
Diese Erlebnisse führten ihn in die Sportpolitik. „Ohne diesen Boykott säße ich nicht im Internationalen Olympischen Komitee“, sagte der IOC-Präsident viele Jahre später. Vielen Weggefährten fiel Bachs Geschick früh auf. Der inzwischen verstorbene IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch führte Bach in die Kunst ein, in großem Stile die Strippen zu ziehen. Adidas-Chef Horst Dassler beschäftigte den Franken zwischenzeitlich als Direktor für Internationale Beziehungen. Schon 1991 gelang Bach der Sprung ins IOC.
Der Unpolitische
2008, als die Sommerspiele in Peking stattfanden, kurz nachdem Proteste in Tibet niedergeschlagen worden waren, gab es Diskussionen zur Politisierung des Sports. Damals erklärte Bach noch als Präsident des DOSB, das IOC habe kein politisches Mandat.
An dieser Haltung hat sich nichts geändert. Der krampfhaft anmutende Versuch, politische Symbole von den Olympischen Spielen fernzuhalten, offenbarte sich in Tokio im vergangenen Jahr. Entgegen der Bitte der Stadt Hiroshima verhinderte das IOC während der Wettkämpfe eine Gedenkminute anlässlich des Abwurfs der Atombombe durch die USA 1945. Das irritierte, weil Bach kurz vor den Spielen Hiroshima besucht und im Friedenspark einen Kranz niedergelegt hatte. Was dem IOC-Präsidenten als PR-Aktion ausgelegt wurde, um sich erneut als Friedensbringer zu profilieren.
Keine Widerrede
Innerhalb des olympischen Konzerns ist kein Gegenwind zu spüren. Bachs Wiederwahl im vergangenen Jahr war mangels Gegenkandidaten reine Formsache. „Er wirkt wie der perfekte Führer eines Einparteienstaates“, sagte Jens Sejer Andersen, Direktor für Internationales der Organisation „Play the Game“, im WDR.
Die Einnahmen sind gewaltig: In Thomas Bachs erster Amtszeit schloss das IOC laut Sport Inside“ Fernseh- und Marketingverträge über 17 Milliarden Euro ab. Auch, wenn die Kritik an China lauter wurde, kann sich Bach der Loyalität im IOC gewiss sein: Rund zwei Drittel der Mitglieder verdanken ihm ihre Berufung.
Benedikt Paetzholdt ist Sportredakteur beim Berliner Tagesspiegel, mit dem der KURIER auch heuer kooperiert.
Der Sportler
Der 68-Jährige wurde am 29.12.1953 in Würzburg geboren und wuchs in der Fecht-Hochburg Tauberbischofsheim auf. Bis 1979 wurde er einmal Olympiasieger und zweimal Weltmeister mit dem westdeutschen Florett-Team.
Vier Sprachen
spricht der promovierte Jurist: Deutsch, Englisch, Französisch und Spanisch.
Der Funktionär
Schon 1975 war Bach Aktivensprecher im Deutschen Fechter-Bund. 1996 wurde er ins Exekutivkomitee des IOC gewählt, seit 2013 ist Bach Präsident. Seine Amtszeit endet 2025.
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