Sie hat die Erfahrung gemacht, dass die Skisprungfans ganz genau darüber wachen, wer, wann, welche Note verteilt. "Irgendwo müssen die Leute dann ja auch den Frust abladen. Das sind dann oft wir Sprungrichter. Dem Wind kann ich halt kein Email schicken."
Auf was achtet nun überhaupt eine Sprungrichterin? Marion Vettori klärt auf.
"Wichtig ist, dass sich schnell ein dynamisches Flugsystem bildet. Bei einem Skifehler gibt’s Abzüge, genauso, wenn der Springer in der Flugphase mit der Hand korrigiert. Wir achten auch auf die Landevorbereitung, man sollte schon vor der Landung eine leichte Schrittstellung sehen." Mögliche Abzüge: bis zu 5 Punkten.
"Im Idealfall sollte man beim Telemark ein leichtes Nachfedern sehen. Der Springer sollte möglichst aufrecht landen, mit beiden Händen im rechten Winkel vom Körper weg." Mögliche Abzüge: 5 Punkte.
"Vorgesehen wäre es, dass der Springer zehn bis 15 Meter in der Schrittstellung ausfährt. Ohne mit der Hand in den Schnee zu greifen, ohne mit dem Ski aufzukanten." Mögliche Abzüge: 7 Punkte.
Trotz der eindeutigen Vorgaben gibt’s bei der Benotung bisweilen enorme Diskrepanzen: Der Pole Dawid Kubacki etwa bekam in Oberstdorf Noten zwischen 17,0 und 19,0. "Die fünf Sprungrichter sollten eigentlich innerhalb von einem halben Punkt liegen", erklärt Marion Vettori.
Die Herausforderung ist der enorme Zeitdruck, unter dem die Sprungrichterinnen und Sprungrichter ihre Punkteabzüge in einen Computer eintippen müssen. Da auf einigen Schanzen das Blickfeld eingeschränkt ist, wird den Juroren neuerdings das Landemanöver auf einem kleinen Monitor eingespielt.
Zugleich bewerten sämtliche Sprungrichterinnen und Sprungriczer, die im Weltcup zum Einsatz kommen, inzwischen daheim vor den TV-Geräten die Sprünge. Dieser sogenannte Virtual Judge dient der Qualitätskontrolle. Wer über eine Saison zu weit von der Durchschnittsnote aller Wertungsrichter entfernt ist, wird für einen Winter aus dem Weltcup abgezogen.
Für Marion Vettori hat sich dadurch wenig geändert. Sie hat schon vor dem Virtual Judge bei jeder TV-Übertragung heimlich mitbenotet. "Sobald ich mir ein Springen anschaue, habe ich die Sprungrichterbrille auf", erzählt Vettori. "Und dann wird bei uns daheim diskutiert."
Grundsätzlich würde es die Sprungrichterinnen und Sprungrichter heute nicht mehr brauchen. "Mit der modernen Technik wäre es möglich, den Sprung durch einen Computer bewerten zu lassen. Stichwort künstliche Intelligenz", sagt Vettori.
Dann gäbe es aber nur mehr eine Haltungsnote. Und keinen Diskussionsstoff mehr. Wie meint doch gleich Marion Vettori: "Wir Sprungrichter sind ein wichtiger Teil. Auch wenn man manchmal über uns schimpft."
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