ÖSV-Star Strolz: "Ich habe geglaubt, ich muss die Welt zerreißen"
Vor einem Jahr war Johannes Strolz der umjubelte Skiheld der Nation. Praktisch aus dem Nichts feierte der Vorarlberger seinen ersten Weltcupsieg und gewann bei den Winterspielen in Peking zwei Goldmedaillen und Slalom-Silber.
Der Aufenthalt auf Wolke sieben war nur von kurzer Dauer: In der abgelaufenen Weltcup-Saison kam der 30-Jährige in sechs von neun Slaloms nicht ins Ziel und schaffte es nie in die Top Ten.
KURIER: Haben Sie für sich die Saison schon aufgearbeitet und analysiert?
Johannes Strolz: Ich habe zumindest versucht, die Wettkampfsaison für mich zu erledigen. Mit dem Ziel, die restliche Zeit entsprechend gut zu nutzen als Vorbereitung für den nächsten Winter. Ich will und werde aber im Sommer noch intensiv in mich gehen, wenn ich noch mehr Abstand habe. Wenn man einmal eine Zeit lang daheim ist und keinen Schnee mehr sieht, dann kommt die eine oder andere Erkenntnis. Ein Grundsatz von mir war immer: Treffe keine wichtigen Entscheidungen aus der Emotion heraus.
Gibt’s eine Erklärung für den Negativlauf? Lag es an technischen Problemen, oder war es eher eine Kopfsache?
Es ist bei mir auf alle Fälle irgendwann zur Kopfsache geworden. Ich denke, dass ich gut vorbereitet war. Dann startest du mit einem Einfädler in die Saison, dann war in Madonna die Geschichte mit der Torstange, die mir vor die Füße gerutscht ist. Da wäre ich richtig gut unterwegs gewesen, und dann ...
Und dann?
Dann habe ich einen entscheidenden Fehler gemacht. Ich konnte wirklich nichts dafür, dass ich in Madonna ausgeschieden bin und hätte das also einfach als Pech abhaken können. Stattdessen habe ich es von da an irgendwie erzwingen wollen und habe viel zu viel Risiko genommen bei den nächsten Rennen.
Was wäre aus heutiger Sicht besser gewesen?
Ich hätte einen Gang zurückschalten müssen, einfach ins Ziel kommen und Punkte sammeln. Ich habe aber geglaubt, ich muss die Welt zerreißen. Und dann kam Adelboden, ich hab’ mir mit dem Rückenwind des Sieges vom Vorjahr gedacht: Was soll mir auf dem Hang schon großartig passieren? Dann fliege ich beim dritten Tor hin.
Und dann waren Sie schon mitten in der Negativspirale.
Das Problem ist, dass man es in dem Moment selbst gar nicht spürt. Es gibt eine Metapher, die meine Situation gut beschreibt. Eine Metapher für die berühmte goldene Mitte.
Erzählen Sie nur.
Wenn man einen kleinen Vogel in der Hand hält, der sinnbildlich für den Erfolg steht, dann muss ich den festhalten, damit er mir nicht davonfliegt. Ich muss aber dabei sehr behutsam vorgehen, damit ich ihn nicht erdrücke. Ich aber habe irgendwann so fest zugedrückt, dass der Vogel in meiner Hand leider zerquetscht worden ist.
Haben Sie sich selbst einen so großen Druck gemacht?
Mit den Ausfällen kommen natürlich die Gedanken an Punkte, an Ranglisten. Und irgendwann tauchen Zweifel und Fragen auf: Soll ich was verändern, soll ich dieses und jenes probieren? Dabei hätte ich nur auf meine Fähigkeiten vertrauen und meine Sache durchziehen müssen. Aber das wird halt immer schwieriger, weil die negativen Gedanken immer mehr und präsenter werden.
Zu Ihrer Ehrenrettung: Sie kannten diese Situation auch nicht. Sie sind vorher noch nie so im Fokus gestanden.
Das stimmt natürlich. Im Sommer 2022 habe ich mich schon gefragt: Wie wird das wohl im nächsten Winter? Mir war klar, dass das eine ganz andere Situation ist. Zugleich habe ich mir gedacht: Jetzt habe ich ein Jahr vorher ums sportliche Überleben gekämpft und habe es hinbekommen. Ich habe als Halbzeitführender im Olympia-Slalom Silber gewonnen. Ich war mir wirklich sicher, ich wäre der Situation gewachsen. Das war vielleicht ein wenig überheblich von mir.
Sie wollten die sportliche Krise allein meistern?
Wahrscheinlich habe ich mit meinem Umfeld zu wenig über meine Situation geredet. Beziehungsweise zu spät. Ich hatte immer das Gefühl: Das kriege ich schon hin, ich werde damit schon fertig. Ich habe für mich die Lehre gezogen, dass ich mit meinem Umfeld mehr reden muss. Da geht es gar nicht um den Input von außen, sondern dass man etwas los wird und es nicht mit sich herumschleppt. Aber ich bin halt auch kein Jammerer. Ich hatte aber manchmal schon ein ziemlich schlechtes Gewissen, wenn ich wieder ausgeschieden bin.
Hatten Sie denn das Gefühl, versagt zu haben?
Ja. Meine Freundin hat dann gesagt, ich soll nicht so streng mit mir sein. Was mich wirklich extrem ärgert: Ich habe meine gute Startposition, die ich mir erarbeitet habe, weggeschmissen.
Sind jemals Gedanken aufgetaucht: Hoffentlich bin ich kein One-Hit-Wonder mit acht Wochen Ruhm?
Ich weiß jetzt nicht, ob ich noch einmal Olympiasieger werde. Vielleicht stehe ich auch nie mehr auf dem Podest. Zugleich glaube ich, dass es kein Zufall sein kann, wenn man Olympiasieger wird und ein Weltcuprennen gewinnt. Klar könnte man sagen: Der hatte in seiner Karriere zweieinhalb gute Monate. Aber was ist im Endeffekt besser? Lieber bin ich zweieinhalb Monate wirklich ganz oben, als ich fahre zwölf Jahre lang im Mittelfeld herum.
War Ihnen in dieser Erfolgsphase 2022 wirklich klar, warum es dermaßen gut läuft?
Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie das alles passiert ist beim Sieg in Adelboden. Ich weiß nur, dass damals alles zusammengepasst und zusammengespielt hat. Ab da hatte ich eine Leichtigkeit, die mich auch durch die Spiele in Peking getragen hat. So ein richtiges Wurschtigkeitsgefühl, ich war unbeschwert, weil ich schon mehr erreicht hatte, als ich mir jemals erträumt habe. Wenn du die Leichtigkeit hast, dann ist Slalomfahren simpel. Dieser Zustand lässt sich leider nicht so einfach reproduzieren.
Weshalb?
Ich habe mich verantwortlich gefühlt für mein Umfeld. Da hast du neue Partner im Sponsorenbereich an deiner Seite, mehr Ressourcen im Umfeld – und dann bringst du die Leistung nicht. Ich bin so erzogen worden, dass man eine Gegenleistung erbringt. Das hat mich echt beschäftigt.
Sie wurden zuletzt Staatsmeister in der Abfahrt. Ist diese Disziplin eine Option?
Dass Slalom und Abfahrt grundsätzlich vereinbar sind, hat Marco Schwarz gezeigt. Das ist aber einmalig, aktuell gibt es außer ihm keinen, der diese beiden Disziplinen auf Weltklasseniveau unter einen Hut bringt. Ich habe viel über das Speedthema nachgedacht und bin der Meinung: Wenn man in der Abfahrt vorne mitfahren will, dann muss man einen sehr guten Riesentorlaufschwung haben. Deshalb will ich heuer viel Zeit in den Riesentorlauf investieren.
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