Ich kann mich noch gut an das erste gemeinsame Slalom-Training mit dem Team in Zürs erinnern. Ich wollte damals unbedingt zeigen, dass ich dazugehöre und hatte irgendwie auch das Gefühl, dass ich nicht schlecht gefahren bin. Und dann hat mich Dominik Raschner ordentlich distanziert. Nach diesem Training habe ich mich gefragt: Vielleicht bin ich doch weiter weg, als ich es mir vorgestellt habe. Allerdings war das bei Weitem nicht der härteste Moment.
Sondern?
Der Slalom kurz vor Weihnachten in Madonna war der schwierigste Tag in meiner Karriere.
Sie sind damals im zweiten Durchgang ausgeschieden.
Ich bin schon im ersten Slalom in Val-d’Isère nicht ins Ziel gekommen und habe gewusst, dass der Hut lichterloh brennt und ich Ergebnisse liefern muss. Sonst bin ich weg. In Madonna ist alles auf dem Silbertablett gelegen: Ein Hang, der mir liegt, ein guter erster Durchgang, ich war in Form – und dann passiert mir im zweiten Lauf ein Einfädler.
Was ist Ihnen in diesem Moment durch den Kopf gegangen?
Das war ein richtiger Schlag ins Gesicht, ich war völlig am Boden. In Madonna hatte ich das Gefühl: Jetzt habe ich es endgültig vergeigt. Jetzt habe ich die beste Chance weggeworfen. In diesem Moment habe ich mir echt gedacht: Ich kann es einfach nicht. Ich schaffe es nicht, wenn es wirklich drauf ankommt, Leistung zu bringen.
Wie haben Sie sich aus dem Schlamassel wieder rausgezogen?
Wenn gleich nach Madonna wieder ein Rennen gewesen wäre, dann hätte es wahrscheinlich nicht funktioniert. Ich bin dann zu Weihnachten auch noch krank geworden, in mir war eine richtig kalte Stimmung. Ich war total sauer auf mich. Und dann ...
Und dann ...?
Und dann habe ich es irgendwie geschafft, diese negative Stimmung in positive Energie umzuwandeln. Ich habe immer gewusst, dass ich schnell bin. Dass ich das Zeug mitbringe, ganz vorne mitzufahren. In Adelboden ist mir dann dieser Sieg gelungen und meine Welt hat sich auf den Kopf gestellt. Vom schlimmsten Moment meiner Karriere zum Premierensieg.
Von da an waren Sie plötzlich im Flow, oder?
Von Adelboden weg war das Skifahren plötzlich für mich mit einer Leichtigkeit und Gelassenheit verbunden, die ich so vorher nicht kannte. Mit dem Sieg hatte ich meine Erwartungen schon dermaßen übertroffen. Und wenn dieser Sieg in Adelboden am Ende meiner Laufbahn der Karrierehöhepunkt gewesen wäre, dann hätte das für mich gepasst. Nehme ich, danke!
Es sind dann bei Olympia in Peking noch zwei Goldmedaillen und eine Silberne dazugekommen. Konnten Sie das alles realisieren bzw. richtig genießen, was Sie da innerhalb weniger Wochen erlebt haben?
Es ist fast schade, dass ich nicht mehr Zeit hatte, das zu genießen. Ich konnte die Erfolge gar nicht richtig auskosten, weil es Schlag auf Schlag gegangen ist und einfach an mir vorbeigezogen ist. Die Momente im Ziel bei der Siegerehrung bleiben natürlich immer präsent, aber ich hätte das alles gerne in aller Ruhe mit der Familie genossen und gefeiert. Aber dafür war leider keine Zeit.
Glauben Sie, dass Sie nach Ihrer Vorgeschichte und mit Ihrer Lebenserfahrung die Erfolge bei den Winterspielen möglicherweise anders einordnen als jemand, der mit 20 Olympiasieger wird?
Ich habe mir auch schon öfter die Frage gestellt, wie es gewesen wäre und was passiert wäre, wenn ich diese Erfolge schon früher gehabt hätte. Natürlich wäre auf diese Weise auch ein Traum in Erfüllung gegangen, aber so war es mit viel mehr Demut verbunden, mit viel mehr Schweiß, Blut und Tränen. Die Momente in Adelboden und Peking sind dermaßen unvergesslich und intensiv, dass ich mir heute denke, dass es gut war, wie alles passiert ist. Dass ich nicht mit 20 schon Olympiasieger geworden bin.
Ist Ihnen bewusst, dass Sie mit dem Weg, den Sie gegangen sind, für viele Rennläufer ein Vorbild sind?
Ich spüre schon, dass sich viele ein Beispiel an mir nehmen. Meine Geschichte zeigt: Man kann es sehr wohl auch als älterer Läufer noch schaffen. Wenn du in so einer Situation bist, in der ich war, bekommt man ja oft zu hören: ,Kämpfe weiter, beiß’ dich durch, das wird schon, du kannst es schaffen!’ Das ist aber alles leicht dahergeredet. Und wenn es jetzt Schwarz auf Weiß ein Beispiel gibt, dass es wirklich funktioniert, dass es sogar für Olympia-Gold reichen kann, dann bin ich gerne ein Vorbild. Ich hoffe, dass ich mit meiner Geschichte dem einen oder anderen einen Motivationsschub gegeben habe.
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