Schräge Vögel & große Taten: Die Haltungsnoten für die 70. Tournee
Die Adler sind gelandet, der erste Höhepunkt dieser Saison ist vorbei. Gelegenheit für einen Blick zurück. Der KURIER spielt Punkterichter und vergibt die Haltungsnoten für die 70. Vierschanzentournee.
- 0,0 Dominik Peter
Der junge Schweizer hatte das Ticket für die Tournee längst gelöst, als ihn wenige Tage vor dem Start im Supermarkt ein Missgeschick ereilte. Peter ging in die Knie, um etwas aus dem untersten Regal zu holen und zog sich dabei einen Meniskusriss zu. Das war’s für den 20-Jährigen mit der Tournee.
- 1,5 Kamil Stoch
Das Beispiel des Titelverteidigers zeigt, dass im Skispringen selbst die Allergrößten völlig durch den Wind sein können. Dreifacher Olympiasieger, Doppelweltmeister und zweimaliger Gesamtweltcupsieger ist der Pole, in Oberstdorf und in Garmisch reichte es für den 34-Jährigen nur zu den Rängen 41 und 47 – unter Tränen machte Stoch schon zur Halbzeit einen Absprung und reiste in die Heimat.
- 3,0 Siegerpokal von Garmisch
Wäre das Malheur am Bergisel passiert, man hätte es vielleicht dem Föhnsturm in die Schuhe schieben können. Aber der peinliche Materialbruch ereignete sich ohne Fremdeinwirkung und er zauberte Ryoyo Kobayashi ein verdattertes Lächeln ins Gesicht. Als der Japaner in Garmisch den Siegerpokal in die Höhe stemmen wollte, brach dieser entzwei. Das sei in 40 Jahren zuvor noch nie vorgekommen, beeilten sich die Erzeuger der Trophäe zu versichern. Kobayashi bekam den Pokal repariert zurück.
- 6,0 Interviews mit Kobayashi
Markus Neitzel ist wahrlich nicht zu beneiden. Der Pfarrer aus Hessen darf, oder besser: er muss bei den TV-Interviews etwas Wissenswertes aus Ryoyu Kobayashi herauskitzeln. Aber so einen wilden japanischen Redeschwall der Dolmetscher auch über den Superstar ergießt, Kobayashis Antworten kommen meist nur tröpfchenweise daher. Bereits am 7.Jänner kann behauptet werden, dass es kein Sager des 25-jährigen Japaners in die Rubrik „Sprüche des Jahres 2022“ schaffen wird.
- 7,5 Die Bergiselschanze
Es war kein Wind von Traurigkeit, der die Springer in Innsbruck empfing. Im Westen nichts Neues, ist man mittlerweile geneigt zu sagen. Denn beim Bergiselspringen geht’s regelmäßig turbulent zu. In den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten musste der Bewerb zwei Mal abgesagt werden (2008, 2022), zwei Mal konnte nur ein Durchgang stattfinden (2014, 2017). Die Flutlichtanlage, die am Bergisel installiert werden soll, dürfte für etwas mehr Planungssicherheit sorgen: Denn traditionell lässt in Innsbruck der Wind gegen Abend hin nach.
- 11,5 Stefan Kraft
Es war nicht die Tournee des letzten österreichischen Tourneegesamtsiegers (2015). Das hatte sich bereits in Oberstdorf mit dem 12. abgezeichnet, ehe der beinahe schon obligate Absturz in Garmisch erfolgte, wo sich Kraft nicht einmal für den Wettkampf qualifizieren konnte. Die Ränge 12 (Oberstdorf), 23 und 24 (Bischofshofen) können nicht der Anspruch des dreifachen Weltmeisters sein. "Es macht grad nicht so viel Spaß", sagt der 28-Jährige.
- 13,5 Robert Johansson
Wer ist das denn, bitteschön? Haben die Norweger einen anderen zur Tournee geschickt? Das werden sich viele Skisprungfans gefragt haben, als sie Robert Johansson beim Auftakt in Oberstdorf sahen – und ihn nicht mehr wiedererkannten. Über Jahre war der hochgezwirbelte rote Schnauzer das unübersehbare Markenzeichen des Norwegers. Neuerdings ist Johansson oben ohne unterwegs und es wird wohl einige Zeit dauern, bis sein Schnauzer nachgewachsen und wieder State of the Bart ist.
- 17,5 Clemens Aigner
Bis Weihnachten war der Tiroler nur im drittklassigen FIS-Cup im Einsatz. Dann startete der 28-Jährige, der im Sommer aus allen ÖSV-Kadern geflogen war, richtig durch. Rang elf im ersten Springen in Bischofshofen bedeutete sein zweitbestes Weltcupergebnis, der 18. Platz im zweiten Springen auf der Paul Außerleitnerschanze sollte Aigner einen Startplatz für die kommenden Weltcupspringen bringen.
- 18,0 Fatih Arda Ipcioglu
Der 24-jährige Sportstudent aus Ostanatolien sprang auf der Schattenbergschanze ins Rampenlicht und schrieb damit Sportgeschichte. 29. wurde Ipcioglu in Oberstdorf und ist damit der erste türkische Skispringer mit Weltcuppunkten. In seiner Heimat schaffte er den Sprung in die Sporttageszeitungen. „Das ist in der Türkei ein großes Thema, wenn man mit Skiern durch die Luft fliegt“, sagt er stolz.
- 18,0 Philipp Aschenwald
Nach einer Augen-OP im Oktober war der Zillertaler bei dieser Tournee im Blindflug unterwegs, da er keine passenden Linsen parat hatte. "Auf dem linken Auge sehe ich wie ein Maulwurf", meinte der 26-Jährige. Mit staunenden Augen verfolgten viele die Auftritte von Aschenwald, dem sein Handicap nicht anzumerken war. Der Tiroler sprang bei allen vier Tourneebewerben in die Punkteränge, zum Abschluss wurde er in Bischofshofen Elfter.
- 18,5 Jan Hörl
Der Absturz von Stefan Kraft hatte keine Sogwirkung, der 23-Jährige nahm die Herausforderung an und präsentierte sich so konstant wie noch nie in seiner Laufbahn. In Garmisch wurde er Fünfter, in Bischofshofen landete er auf den Rängen 5 und 7, macht in Summe in der Gesamtwertung den achten Platz.
- 19, 0 Die TV-Experten
Auf den Tourneeschanzen haben die Österreicher schon seit einiger Zeit nicht mehr die Lufthoheit. Dafür aber haben sie rund um den Schanzentisch als das Sagen. Andreas Goldberger & Martin Koch (ORF), Werner Schuster (Eurosport) sowie das Duo Anton Innauer und Gregor Schlierenzauer (ZDF) überzeugten und unterhielten mit ihren Expertisen und Anekdoten als Experten das Fernsehpublikum.
- 19,0 Manuel Fettner
Sollte irgendwann einmal das Mono-Skispringen eine eigene Disziplin werden, der Routinier wäre wohl nicht zu schlagen. In Bischofshofen öffnete sich nach der Landung bei Tempo 100 die Bindung, doch Fettner verlor nicht das Gleichgewicht und blieb bis zur Sturzlinie standhaft.
Der Balanceakt erinnerte an seine akrobatische Einlage bei der WM in Val di Fiemme (2013), wo er im Teambewerb schon einmal auf einem Ski durch den Auslauf gefahren war und dadurch Österreich die Goldmedaille im Teambewerb gesichert hatte. Im Finale des zweiten Springens in Bischofshofen öffnete sich am Donnerstag dann erneut die Bindung des rechten Ski - diesmal kam der 36-Jährige zu Sturz, blieb aber unverletzt
- 19,5 Daniel Huber
Der Salzburger beendete eine lange österreichische Durststrecke und gewann beim Finale in Bischofshofen als erster ÖSV-Adler seit 2016 wieder ein Tourneespringen. Für den hochveranlagten 29-Jährigen war es endlich der so lang ersehnte erste Weltcupsieg. „Ich habe immer gewusst, dass es in mir steckt, aber es war in den letzten Jahren nicht immer leicht für mich“, meinte Daniel Huber in einer ersten Reaktion. „Meine Genugtuung ist riesengroß, das ist ein geiler Tag. Ich genieße da wirklich.“
- 20,0 Ryoyu Kobayashi
1, 1, 1, 5 – diese beeindruckenden Zahlen wirft der Flugschreiber von Ryoyu Kobayashi bei dieser Vierschanzentournee aus. Der Japaner schwebte in anderen Sphären und ließ keine Zweifel aufkommen, wer gerade die Lufthoheit im Skispringen hat. Mit dem fünften Platz beim Finale in Bischofshofen verpasste es der 25-Jährige zwar, als erster Springer überhaupt, bei zwei Tourneen alle vier Wettkämpfe zu gewinnen, seine Form ist aber beneidenswert. „Ich bin stolz, dass ich zum zweiten Mal die Tournee gewonnen habe“, sagte der wortkarge Japaner, der bereits in der Saison 2018/’19 erfolgreich war. Mit insgesamt 25 Weltcupsiegen ist Ryoyu Kobayashi mittlerweile der zweiterfolgreichste Sportler unter allen aktiven Skispringern, seit 2018 kann er einen Punkteschnitt von 55 Zählern vorweisen – das entspricht Platz vier.
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