Peter Schröcksnadel: "Team hat nicht mehr Hirschers Schutz"
Peter Schröcksnadel macht sich in Kitzbühel rar. Man wird den Ski-Präsidenten nie beim Weißwurst-Zuzeln oder bei anderen Halligalli-Partys sehen. Der Tiroler spult sein Pflichtprogramm ab und lässt sich nur dort blicken, wo es notwendig ist. "Mich fasziniert vor allem der Sport", sagt der 78-Jährige.
KURIER: Wie oft schauen Sie auf die Nationenwertung?
Peter Schröcksnadel: Ich mache nach den Rennen immer Screenshots, und dann schaue ich mir an, in welche Richtung sich das entwickelt. Ich weiß zum Beispiel, dass wir vor Adelboden einen Punkt vor den Schweizern waren.
Jetzt liegt Österreich 277 Zähler hinten. Wie sehr stört Sie das?
Seien wir doch froh, dass es endlich wieder einmal einen Länderkampf Österreich – Schweiz gibt. Die Schweiz ist sowieso die einzige Nation, die uns Paroli bieten kann. Heuer ist es wirklich eng und interessant, aber ich denke schon, dass wir am Ende vorne liegen werden.
Ist nur das Fehlen von Marcel Hirscher an diesem Rückfall schuld?
Wir haben gewusst, dass es schwierig wird. Das Team hat jetzt nicht mehr den Schutz von Marcel. Ich gebe zu, dass ich mir teilweise auch mehr erwartet habe. Von unserer Herren-Abfahrtsmannschaft bin ich enttäuscht, die können eindeutig mehr. Aber es ist schon lustig: 31 Jahre hintereinander gewinnen wir den Nationencup, und keiner hat davon Notiz genommen. Und kaum sind wir einmal hinten, wird darüber geredet.
Im Ausland wird es durchaus mit Genugtuung registriert, dass Österreich nicht mehr die Nummer eins ist.
Das kann ich nachvollziehen. Wenn du dauernd geschlagen wirst, und dann drehst du einmal den Spieß um, dann sorgt das für Genugtuung. Wenn wir verlieren, freut das einige. Der übermächtige ÖSV, der nicht mehr gewinnt. Die Leute, die sich darüber freuen, werden sich aber wieder ärgern.
Die TV-Quoten sind gegenüber dem letzten Winter signifikant zurückgegangen.
Die sind aber immer noch gut. Natürlich ist jetzt eine kleine Delle da, der Sport lebt nun einmal von Helden und Siegern. Wenn da ein Held wie der Marcel wegbricht, dann ist es schwierig. Das Problem ist nur: Man kann keine Helden erfinden.
Lassen Sie uns das Thema wechseln: Hatten Sie schon Kontakt mit Sportminister Werner Kogler?
Nein, hatte ich nicht. Ich habe auch keine Ahnung, ob er nach Kitzbühel kommt. Ich lass’ das auf mich zukommen. Wir sind als Verband sowieso sehr unabhängig. Wenn wir da oder dort von der Politik eine Hilfe kriegen, dann sind wir natürlich froh, aber der ÖSV würde auch ohne diese Unterstützung überleben.
Können Sie überhaupt noch sämtliche Sportminister aufzählen, die Sie in den 30 Jahren als Präsident kennengelernt haben?
Das schaffe ich beim besten Willen nicht. Aber das zeigt mir nur wieder einmal, wie kurzlebig die Politik ist. Wissen Sie, was mich wirklich stört?
Was denn?
Dass im gesamten Wahlkampf nie vom Sport die Rede war. Übrigens auch nicht von der Kultur. Und das stört mich extrem. Die Kultur und der Sport sind doch ein Ausdruck des Landes, das gehört zur Identität von Österreich. Aber bei uns wird der Sport nur herumgeschoben. Das finde ich sehr bedauerlich.
Haben Sie eine Erklärung?
Das war schon immer so. Mir ist es unverständlich, dass der Sport in Österreich so einen geringen Stellenwert hat. Dem Sport fehlt bei uns die Lobby. Die Landwirtschaft hat eine, der Tourismus, die Unternehmer – alle haben eine Lobby, nur der Sport hat keine.
5 Mal ...
... gewann der Schweizer Didier Cuche die Abfahrt.
9 Siege ...
... holte der Kitzbüheler Anderl Molterer (2. vo. re., heute 88 Jahre alt). Er gewann zwei Mal die Abfahrt, drei Mal den Slalom und vier Mal die Kombination.
40 Kameras ...
... übertragen das Spektakel für den ORF. Dafür wurden auch 5 Kräne aufgestellt.
85 Prozent ...
... Gefälle hat die Mausefalle. Sie ist die steilste Stelle im Rennen.
135 Stundenkilometer ...
... werden in der Kompression vor dem Zielsprung erreicht.
700 Medienakkreditierungen ...
... für Journalisten aus mehr als 30 Nationen wurden ausgegeben.
1500 Personen ...
... sind an jedem Renntag rund um den Hahnenkamm für den Veranstalter im Einsatz.
1700 Meter ...
... A-Netze, 6.500 Meter B-Netze und 1.500 Meter G-Zäune werden zur Sicherheit der Ski-Asse aufgebaut.
100.000 Zuschauer ...
... an drei Tagen sind der Rekord aus dem Jahr 1999. Durchschnittlich kommen 85.000 (15.000 Super-G, 45.000 Abfahrt, 25.000 Slalom).
100.000 Euro ...
... bekommt der Sieger in der Abfahrt und jener im Slalom. Insgesamt werden an den drei Renntagen 725.000 Euro an Preisgeld (bis Rang 30) ausgeschüttet. Das ist absoluter Rekord.
7,5 Millionen Euro ...
... beträgt das Veranstaltungsbudget. 20 Prozent Aufwand für die Piste, 30 Prozent für das Stadion, 15 Prozent für Büros, 35 Prozent für Diverses.
Ist Österreich also nur eine Skination und keine Sportnation?
Schauen wir einmal, ob wir nach dem Winter noch eine Skination sind. Nein, im Ernst: Ich glaube, es wäre die Aufgabe einer Regierung und eines verantwortlichen Ministers, in Österreich eine Sportkultur zu etablieren. Wir veranstalten heute nicht einmal mehr Schulskiwochen, und das in einem Land wie Österreich. Dabei könnte gerade das so wichtig für die Integration sein.
Wie ist das zu verstehen?
Wir sind nun einmal ein Schneeland. Wenn wir Migranten im Land haben, die vielleicht in ihrem Leben zuvor noch nie Schnee gesehen haben, wären solche Schulskiwochen wohl ein guter Faktor im Bereich der Integration. Ich finde es wahnsinnig schade, dass wir im Skisport keine Athleten mit Migrationshintergrund haben. Das wäre echt wünschenswert.
Was wünschen Sie sich sonst noch von der Sportpolitik?
Die tägliche Sportstunde fordere ich schon seit Ewigkeiten. Passiert ist nie etwas. Wenn der Sport schon in der Schule nur als Nebensache betrachtet wird, dann werden wir nie eine Sportnation werden. In Norwegen ist das zum Beispiel ganz anders. Wir müssen die Kinder zum Sport bringen, schauen Sie sich nur einmal die Kinder und Jugendlichen an: Da sind viele schon übergewichtig, die können teilweise nicht einmal mehr rückwärts gehen.
Es heißt auch, Sie könnten nicht zurücktreten.
Bis zur Vergabe der Ski-WM im Mai passiert einmal gar nichts. Es ist wichtig, dass wir die Ski-WM 2025 nach Saalbach bekommen. Dazu müssen wir als Verband stark auftreten, die Leute müssen wissen, dass wir ein verlässlicher Partner sind. Da können wir im Vorfeld keine Diskussionen über meine Nachfolge brauchen.
Gibt es überhaupt den richtigen Zeitpunkt für den Abgang?
Den richtigen Zeitpunkt gibt es nie. Aber am schönsten wäre es gewesen, wenn Marcel Hirscher und ich gemeinsam aufgehört hätten. Das war eigentlich auch der Plan, aber er ist mir leider zuvorgekommen. Es gibt noch einen zweiten Deal, aber der wird mich überleben.
Mit wem haben Sie einen Deal?
Mit Hannes Reichelt.
Er will noch 2021 bei der WM in Cortina fahren.
Eben. Also wird das eher zu seinen Gunsten ausgehen.
Der Innsbrucker wurde am 30. Juli 1941 geboren, nach der Handelsakademie und einem begonnenen Jus-Studium gründete er bereits 1964 ein Unternehmen für Pistenmarkierungen und -leitsysteme. Zeitgleich mit dem Einstieg beim ÖSV 1978 startete er die Feratel Media AG, die das Wetterpanorama im TV produziert. Seit Juni 1990 ist Schröcksnadel Präsident des ÖSV, zwei Jahre später wurde ihm der Professoren-Titel verliehen. Privat ist er regelmäßiger Teilnehmer an Ski-Masters-Bewerben und einer der weltbesten Fliegenfischer.
Wie muss aus Ihrer Sicht die Übergabe ablaufen?
Es muss auf alle Fälle so laufen, dass es auch nach mir weiter funktioniert. Es werden sicher auch einige sagen: ,Gott sei Dank ist der jetzt weg.‘ Damit kann ich aber leben. So lange die Athleten so etwas nicht sagen, und das tun sie nicht, ist mir das völlig egal. Was mir aber schon ein Anliegen ist: Der Skiverband muss finanziell unabhängig bleiben. Und wir müssen auch in Zukunft den Nationencup gewinnen.
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