In Österreich ist Znaim-Trainer Miroslav Frycer vor allem durch seine Emotionen auf der Bank bekannt. Vor einem Jahr sorgte er für Aufregung, weil er während eines Spiels den Schiedsrichter-Boss anrufen wollte. In den Schiedsrichter-Kabinen waren Karotten „für besseres Sehvermögen“ platziert, in der Kabine des damaligen Viertelfinalgegners Vienna Capitals standen Pokale mit Aufschriften wie „Jungs aus Wien, keine Sorge. Wir werden euch zum Meister machen. Eure loyalen Schiedsrichter“ und „Weltmeister 2019 im Simulieren“.
Frycer lächelt verschmitzt, wenn er darauf angesprochen wird. „In dieser Saison können wir uns über die Schiedsrichter nicht beklagen. Ich glaube, nach meinem Zirkus im letzten Jahr haben wir Respekt gewonnen. Ich lass mich nicht verarschen. Dafür bin ich alt genug und habe zu viel erlebt.“
Was er speziell als Star der Toronto Maple Leafs erlebt hat, beschreibt der 60-jährige Tscheche in seinem Buch „My Wild Hockey Life“ und hier im Interview.
Im EBEL-Viertelfinale liegt seine Mannschaft gegen Bozen mit 0:3 zurück. Am Dienstag geht es zum Geisterspiel in die für Fans gesperrte Südtiroler Arena.
KURIER: Trauen Sie Ihrem Team noch die Sensation zu?
Miro Frycer: Wer weiß? Eishockey ist schön und brutal. In der Vergangenheit hat es in der NHL, in Italien und in der österreichischen Liga schon viele Überraschungen gegeben. Warum nicht in Znaim?
Ist das Saisonziel mit dem Erreichen des Play-offs erreicht?
Wenn wir es nicht geschafft hätten, wäre das Scheiße gewesen. Wir haben unter der Saison wirklich gutes Eishockey gespielt. Die erste Play-off-Runde zu erreichen ist fast eine Pflicht in Znaim.
Miroslav Frycer über die Play-off-Chancen von Znaim
Welche Idee stand hinter Ihrem Buch?
Ich wollte das eigentlich nicht. Eine Biografie sollten die Leute über dich machen, wenn du tot bist. Ich fühle mich wohl, obwohl ich zusammengebastelt bin wie aus Lego. Ich musste sehr diplomatisch sein über das wilde Leben in den 80er-Jahren. Jeder hat von der NHL geschwärmt, aber was da manchmal hinter den Türen abgegangen ist, war auch die Hölle.
Was haben Sie gelernt?
Ich glaube, dass ich Leuten geholfen habe wegen meiner Alkoholeskapaden. Vielleicht habe ich mehr Verständnis für schwierige Spieler, mit denen keiner arbeiten will. Dann musst du Psychologe sein. Ich mag einen Spieler nicht, den du in eine Ecke stellst und den du nach 14 Tagen noch immer dort findest. Mit Leuten, die Emotionen wie ein Fisch haben, kann ich nicht umgehen. Da sind mir Typen wie Luciani (Znaims Topscorer, Anm.) lieber.
Zurück zum Karriere-Beginn. Sie waren einer der ersten Tschechen in der NHL. Wie war das damals?
Die Stastny-Brüder in Québec waren die ersten. Sie haben mir sehr geholfen. Ich konnte die Sprache nicht, ich wusste nicht, was 100 Dollar wert waren. Spielerisch war es okay, weil ich ein Typ war, der keine Angst gehabt hat. Mit dem Leben hatte ein Jahr lang Probleme. Die Stastnys haben mir mit der Bank, den Kreditkarten usw. geholfen. Ich bin ihnen sehr dankbar gewesen.
Miroslav Frycer über seine wilde Zeit in der NHL
Und Sie kamen ja 1985 auch aus einem ganz anderen politischen System in der Tschechoslowakei ...
Es war nicht leicht. Auch nicht für meine Familie. Es gab nach der Flucht keinen Weg mehr zurück. Ich wäre direkt in den Knast gegangen.
Wie war es mit den nordamerikanischen Spielern, die Europäer nicht mit offenen Armen empfangen haben?
Jeder hat dich komisch angeschaut, weil du ihm Arbeit wegnimmst. Und noch dazu habe ich mit 21 ausgesehen wie mit 15.
War das Spiel härter als heute?
Wenn man alte Aufnahmen sieht, welche Fouls mit dem Schläger erlaubt waren, war das brutal. Am Anfang hast du dir Respekt erkämpfen müssen. Bei jedem Fight habe ich eine auf die Mütze bekommen. Aber du musstest dich stellen, sonst warst du verloren.
Sportlich war die Zeit aber sehr erfolgreich, oder?
Ich bin zufrieden. Ich hatte viele Verletzungen. Aber die paar Jahre waren wirklich gut. Ich war beim All-Star-Game, ich war der erste Europäer, der Topscorer bei Toronto war. Obwohl ich keinen Stanley Cup gewonnen habe, bin ich mit der Karriere schon sehr zufrieden. Mein Traum ist wahr geworden, als ich das erste Spiel in der NHL gemacht habe.
Wie hat sich das Alkoholproblem entwickelt?
Es ging um Stressabbau. Ich bin aus der Industrie-Stadt Ostrau. In den 70er-Jahren waren überall Zigaretten und Alkohol. Ich habe mit zwölf zu rauchen begonnen und mache es noch immer. Partys ohne Miro gab es nicht. Alkohol war auch in der NHL immer da. Du musstest dabei sein, sonst gehörtest du nicht zur Mannschaft. Ich konnte nie Nein sagen. Es wurde nach dem Spiel getrunken, aber auch davor. Dann warst du im Sommer fix und fertig und hast weitergemacht, aber ohne Training und Herausschwitzen. Der Alkohol war immer dabei. Am Ende habe ich noch in Deutschland gespielt. Ich bekam wegen meiner Rückenverletzung Spritzen vor jedem Spiel. Das hat die Leber noch mehr ruiniert. Die Kombination Schmerzmittel und Alkohol – sehr schlau. Dann war sie im Arsch.
Es endete mit einer Leber-Transplantation ...
Ich habe mich belogen, dass ich es unter Kontrolle habe. 1998/1999 haben wir mit Meran gegen Bozen die Meisterschaft gewonnen. Es war überall Wein. Ein Jahr später war es so schlimm, dass ich absolutes Alkoholverbot bekommen habe. Im Krankenhaus haben sie mir gesagt, dass ich nur noch drei Monate habe. Zum Glück habe ich in Innsbruck eine neue Leber bekommen. Seitdem habe ich keinen Tropfen Alkohol getrunken. Das ist jetzt 20 Jahre her.
Bereuen Sie irgendwas?
Nichts, null. Ich habe das Leben volle Kanne genossen. Ich lebe immer noch in meinem Traum. Was ich ein bisserl bereue, ist, dass ich mit meinen Kindern zu wenig Zeit verbracht habe.
Waren alle NHL-Spieler so unterwegs?
99 Prozent, die anderen waren Außenseiter. Es war einfach eine wilde Zeit, da hat es keine Handys gegeben, auch keine Fotos in irgendwelchen Bars. Unvorstellbare Dinge sind da abgelaufen. Die Spieler jetzt sind ja arm. Vieles geht heute nicht mehr so.
Ja, eigentlich bis heute. Eishockey ist für dort eine Religion. Es tut gut, etwas hinterlassen zu lassen, das die Menschen immer noch schätzen. Das ist schön. Wenn ich am Flughafen in Toronto ankomme, erkennen mich die Leute noch. Das gefällt mir schon.
Ist Toronto eine zweite Heimat für Sie?
Nicht so sehr, wobei ich es liebe. Natürlich ist Tschechien meine Heimat, solange meine Frau Mama in Ostrau lebt. Aber ich sehe mich schon mehr in Italien, bei Sonne und Meer.
Soll Ihr Buch warnen?
Ja, ich weiß, worüber ich rede und was passieren kann. Wenn du einmal falsch abbiegst, dann gehst du in die falsche Richtung. Die jungen Spieler müssen kapieren, dass sie nicht mitgehen und trinken müssen.
Die aktuellen Spieler haben auch Druck. Wie gehen sie damit um?
Keine Ahnung. Ich kapiere die jetzige Generation nicht. Überall sind Handys. Wenn dann im Alltagsleben ein kleines Problem auftaucht, gibt es keine App zur Lösung. Ich beneide diese Generation nicht.
Ist das auch ein gesellschaftliches Problem?
Ja sicher. Wir hatten damals vieles für das Leben auf der Straße gelernt. Heute musst du Kinder überreden, dass sie zum Training gehen. Aber vielleicht bin ich zu alt.
Würden Sie gerne in der heutigen Zeit Spieler sein?
Nein, ich war für die damalige Zeit der Richtige bzw. für meine Mentalität war es die richtige Zeit. Nicht davor und nicht danach.
Was passiert nach Ihrer Trainer-Karriere?
Ich möchte über den Sommer auf Sardinen leben. Kaffee, Zigaretten, Wasser und Sonne – wunderbar. Und im Winter bleibe ich in Südtirol.
Miro Frycers vier Treffer für Toronto gegen Edmonton
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