ÖSV-Star Pinkelnig: 'Jede Träne, die ich vergossen habe, war wertvoll'
Die Karriere von Eva Pinkelnig sollte eigentlich verfilmt werden. Mit 24 begann die Vorarlbergerin erst mit dem Skispringen. Zehn Jahre später ist die ehemalige Erzieherin Weltcup-Gesamtsiegerin und hat gute Chancen, am Donnerstag Österreichs Sportlerin des Jahres zu werden. Zwischen dem späten Karrierestart und dem großen Erfolg lagen viele Rückschläge (Schädelhirntrauma, Milzriss).
Wie lange haben die Glücksgefühle nach der Saison angehalten, oder gab es bei Ihnen auch das Gefühl der Leere?
Eva Pinkelnig: Ich habe nach der Saison verschiedene Phasen durchlebt und dabei auch immer wieder in mich hineingehört. Ich hatte zum Beispiel die Phase, in der ich mir gedacht habe: Jetzt suche ich mir etwas anderes.
Sie wollten aufhören?
Mir ist durch den Kopf gegangen: Ich habe ja jetzt mehr erreicht, als mir alle zugetraut haben, ehrlicherweise als auch ich mir selbst zugetraut habe. Und ich habe diesen Gedanken auch zugelassen: Was kommt jetzt? Was kann der nächste Schritt sein? Wo sehe ich mich selbst? Was will ich? Mit wem möchte ich meine Zeit verbringen?
Sie haben die Fragen eindeutig beantwortet: Sie stehen voll im Training für die neue Saison.
Ich habe bald einmal gemerkt, dass mir das Skispringen fehlt und dass es da noch Ziele gibt die ich erreichen möchte. Und es gibt einfach ein Thema, das mich sehr fasziniert und herausfordert.
Nämlich?
Olympia. Meine ersten Spiele in Peking waren ehrlich gesagt richtig beschissen. Rein sportlich, aber auch mit dem ganzen politischen System in China. Jetzt bietet sich 2026 die Chance mit Olympischen Spiele quasi vor meiner Haustüre. Die Möglichkeit zu haben, 2026 mit Olympia eine Karriere zu beenden, die so viel größer geworden ist, als alles, was ich mir je erträumt habe, wäre ein würdiger Abschluss und ist somit ein Ziel, auf das ich hinarbeite.
Dabei ist es ein Wunder, dass Sie überhaupt noch dabei sind. Sie hatten ein Schädelhirntrauma und einen Milzriss und mussten auch um ihren Platz im ÖSV-Team zittern.
Im Frühsommer 2022 war es richtig hart für mich. Verbandsintern gab es kaum noch Menschen, die an mich oder mein Potenzial geglaubt haben. Co-Trainer Thomas Diethart gehörte glücklicherweise zu denen, die Potenzial sahen und seine Zeit, Expertise und Nerven in mich investiert hat. Dass dann sogar der der Gesamtweltcupsieg herausschaut, war einfach überwältigend.
Verspüren Sie eine Genugtuung?
Mir selbst habe ich nichts mehr beweisen müssen. Aber allen, die über mich irgendwelche Dinge gesagt haben, die sich ein Fernurteil gebildet haben, obwohl sie mich nicht einmal richtig kennen – all denen habe ich gezeigt, dass ihr Horizont zu klein und ihre Sichtweisen zu einseitig waren.
Haben Sie sich im vergangenen Winter eigentlich immer erklären können, warum Sie so gut sind?
Nein. Es war definitiv so eine Art Flow-Zustand. Ich habe es irgendwie einfach laufen lassen und nicht versucht, nach dem perfekten Sprung zu streben. Die intensive sportpsychologische Arbeit im letzten Sommer war mit Sicherheit auch ein Schlüssel.
Was haben Sie gemacht?
Lustigerweise ging es dabei gar nicht einmal ums Skispringen an sich, sondern der Hauptfokus war: Wie fühlt sich die Eva wohl? In welchem Setting kann ich meine Leistung am besten abrufen? Wie fühle ich mich in einem Umfeld wohl, das ich mir nicht selbst ausgesucht habe? Ich habe ja nicht den Luxus wie zum Beispiel Marcel Hirscher, dass ich mein eigenes Team um mich habe. Sondern ich bin in einem Team, das vom Skiverband nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellt wurde.
Wann und wie fühlen Sie sich wohl?
Ich brauch' Menschen um mich, denen ich voll vertrauen kann. Menschen, bei denen ich genau weiß, woran ich bin und bei denen ich in der Emotion auch einmal etwas sagen darf. Ohne dass ich dann gleich wieder einen Anschiss bekomme. Wenn ich einmal einen schlechten Tag habe und nicht freundlich lächle, dann wird bei mir oft gleich etwas hineininterpretiert. Thomas Diethart ist da für mich eine sehr wichtige Bezugsperson geworden. Er hat eine unglaubliche Gelassenheit, die ein sehr guter Gegenpol zu meinem hippeligen und eher impulsiven Wesen ist.
Sind Sie denn einfach zu haben?
Es kommt ganz auf das Gegenüber an. Wenn mein Gegenüber mich wertschätzend und respektvoll behandelt, dazu noch reflektiert und bereit ist, auf mich einzugehen, dann funktioniert's. Wenn dann auch noch der Spaß im Training genug Platz hat, kommt die gute Leistung fast von alleine.
Apropos Spaß: Man sieht Sie immer mit einem Grinsen am Absprungbalken. Ist Freude bei Ihnen der wichtigste Erfolgsfaktor?
Absolut. Die Freude ist meine Stärke und sie gibt mir auch Stärke.
Gab es Phasen, in denen Ihnen das Skispringen keine Freude mehr bereitet hat?
Die hat es bei mir immer wieder gegeben. Ich musste in den letzten Jahren teilweise brutale Nackenschläge einstecken und bin nicht nur einmal am Boden gelegen.
Wie haben Sie es immer wieder geschafft, sich aufzuraffen und wieder aufzustehen?
Ich bin jemand, der an das Gute glaubt. Ich glaube daran, dass sich ehrliche Arbeit immer lohnt. Das war ein Antrieb. Aber nicht zuletzt auch die große Freude am Skispringen. Das Skispringen ist ein ganz besonderer Sport.
Inwiefern?
Viele Sportarten kann man als ja Laie probieren und versuchen: Fußball, Skifahren, Tennis, Golf – aber Skispringen ist ein Sport, der nicht greifbar ist. Skispringen können nicht viele Menschen auf der Welt. Man kann das Gefühl nur schwer beschreiben, wenn ein Sprung richtig gelingt.
Versuchen Sie es trotzdem.
Du spürst die Energie, die beim Absprung aus den Beinen kommt und der Körper schnell & leicht wird. Dann surfst du auf dieser Welle in der Luft dahin. Das ist so ein wunderschönes Gefühl, und das kriegt man nirgends sonst. Deshalb werde ich es voll auskosten, dass ich das noch zwei, drei Jahre machen darf.
Abschließend: Hat sich Ihr Leben durch den Gesamtweltcupsieg verändert?
Mir fällt schon auf: Ich werde erkannt und mir wird eine unglaubliche Wertschätzung entgegengebracht. Es ist auch überwältigend, wie viele Nachrichten ich immer noch erhalte. Leute, die aufgrund meiner Geschichte wieder Mut gefasst haben und in mir ein Vorbild sehen. Und dann hat sich der Aufwand gelohnt, dann war jede Träne wertvoll, die ich vergossen habe. Das erleben zu dürfen finde ich unglaublich schön und dafür bin ich sehr dankbar.
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