Gäbe es Haltungsnoten für Skisprungtrainer, Andreas Widhölzl hätte sich wohl eine 20,0 verdient. Dafür, wie er seine turbulente erste Saison als ÖSV-Chefcoach gemeistert hat. Wie er bei all dem stürmischen Gegenwind stets die Fassung und Ruhe bewahrt hat und trotz der vielen Probleme nie die Nerven wegschmiss.
Der 44-jährige Tiroler erlebte in einem Winter Sachen, die anderen Betreuern während ihrer gesamten Karriere nicht widerfahren. Da wurde gleich nach dem Saisonstart das gesamte Nationalteam vom Coronavirus außer Gefecht gesetzt; da zwickte Starspringer und Erfolgsgarant Stefan Kraft dermaßen der Rücken, dass er wochenlang nicht trainieren konnte; da wurde Widhölzls Co-Trainer mitten in der Saison vom ÖSV rausgeworfen; da unterliefen den Springern plötzlich seltsame Missgeschicke und wurden disqualifiziert, weil sie etwa wie Jan Hörl zu spät vom Balken weggefahren waren.
Und mittendrin in diesem Schlamassel Andreas Widhölzl, der Trainernovize, der sich irgendwann nur mehr die Frage stellte: „Was kommt jetzt als Nächstes daher?“
Funken Hoffnung
Mit den vier Skiflugbewerben in Planica endet am Wochenende nun ein Weltcupwinter, der für die erfolgsverwöhnte Skisprungnation auf den ersten Blick ernüchternd verlaufen ist. Österreichs Springer warten in dieser Saison noch auf den ersten Einzelsieg, in der Nationenwertung sind die ÖSV-Adler nur die vierte Kraft, im Gesamtweltcup scheint Daniel Huber als bester heimischer Athlet an der 14. Position auf.
In einer normalen Saison hätte das für einen österreichischen Cheftrainer mit großer Wahrscheinlichkeit den Abflug bedeutet. Doch angesichts der Widrigkeiten und der Covid-Umstände ist ÖSV-Direktor Mario Stecher voll des Lobes für Andreas Widhölzl. „Er hat einen tollen Job gemacht, weil er selbst in der schwierigsten Phase, als die Mannschaft richtig angeschlagen war, immer einen Funken Hoffnung versprüht hat.“
Corona-Watsch’n
Widhölzls Zuversicht, die von manchen Kritikern als purer Zweckoptimismus und reine Hilflosigkeit abgetan worden war, sollte am Ende gewinnbringend sein, wie der WM-Titel von Stefan Kraft auf der Großschanze und die Silbermedaille im Teamspringen in Oberstdorf zeigten. „War ich froh, dass es bei der WM dann so ausgegangen ist. Das hat wirklich viel Druck von uns genommen. Es war gut, dass wir immer ruhig und geduldig geblieben sind und nie gejammert haben“, sagt Andreas Widhölzl.
Auch wenn es für ihn und seinen Betreuerstab nicht immer ganz einfach war. „Wir haben als Team zwei Mal eine volle Corona-Watsch’n erhalten“, erinnert sich der Coach, der selbst ebenfalls mit Covid-19 infiziert war. Die Nachwehen der Erkrankungen belasteten die Skispringer mehr als anfänglich gedacht. „Ich wollte Corona nie als Ausrede verwenden. Unsere Leute sind direkt von der Quarantäne zurück auf die Schanze. Die Ärzte empfehlen ja, dass man nach so einer Infektion vier Wochen lang eine Ruhe geben soll.“
Luft nach oben
Wenn sein Team gerade wieder einen Tiefschlag einstecken musste und Andreas Widhölzl den Glauben an den Skisprunggott zu verlieren drohte, rief er sich manchmal andere Skisprungtrainer in Erinnerung. „Werner Schuster und Alexander Stöckl haben in ihrem ersten Jahr in Deutschland und in Norwegen auch nicht wie eine Bombe eingeschlagen“, sagt der Fieberbrunner. „Aber es ist für einen blutigen Anfänger nicht einfach, wenn man solche Sachen erlebt.“
Zugleich zeigen die beiden Medaillen in Oberstdorf, welches Potenzial tatsächlich in der österreichischen Mannschaft steckt. „Mein erstes Jahr war sehr intensiv und sehr lehrreich. Ich weiß, dass wir im Skispringen den Ton angeben können. Und das ist auch das große Ziel für das nächste Jahr“, sagt Andreas Widhölzl. „Ich hoffe, dass die nächste Saison dann ruhiger abläuft.“
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