Am 10. Dezember 1988 konnte nichts und niemand mehr den Schweden stoppen. Nicht die FIS, die seinen seltsamen Sprungstil seit Jahren mit Punktabzügen bestrafte. Nicht die Fans, die ihn als „Frosch“ verspottet haben. Und auch nicht Dieter Thoma und Ernst Vettori, die sich im Parallelstil geschlagen geben mussten. Nur wenige Zuschauer wurden an der Schanze in Lake Placid Zeuge einer Revolution. Denn spätestens da dämmerte der Skisprung-Welt, dass ein neues Zeitalter begonnen hat.
Boklöv: „Kein Trainer hat mir erklären können, warum ich jetzt um so viel weiter springe, nur weil ich ein V mache.“ Das wollte Toni Innauer nicht so stehen lassen. Österreichs damaliger Cheftrainer beauftragte Dr. Wolfram Müller vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik in Graz, die Vor- und Nachteile des V-Stils zu untersuchen. Der Vorteil war zwischen 26 und 28 Prozent mehr Auftrieb. Weil ab der Saison 1991/’92 der Nachteil der schlechten Haltungsnoten wegfiel, ließ Innauer die Österreicher als erste Mannschaft geschlossen auf den neuen Stil umsatteln.
„Es war eine Riesenumstellung, auch weil es das ganze Material betroffen hat“, erklärt Vettori, der im Sommer 1991 26 Jahre alt wurde und schon 14 Weltcups parallel gewonnen hatte. Viele Springer haben die Umstellung nicht geschafft. Einige haben das V zwar trainiert, es beim Weltcupauftakt aber weiter parallel probiert. Auch Andreas Felder. Nach der Rückkehr aus Nordamerika arbeitete er aber wieder am V-Stil. „Ich habe lange Zeit gesagt: ,Geh, das ist meine letzte Saison, die bringe ich so auch noch herum.‘ Das wäre mir beinahe auf den Kopf gefallen. Wenn ich nicht rechtzeitig begriffen hätte, dass ich auf den V-Stil umstellen muss, dann wäre ich 1992 nicht mehr zu Olympia gefahren und hätte während der Saison die Karriere beendet“, sagt der Absamer.
Sein bester Freund, Ernst Vettori, hatte gleich sein zweites Springen im V-Stil, Anfang Dezember 1991 in Thunder Bay, gewonnen. Vettori: „Nach den ersten Schneesprüngen war klar, dass man mit dem Parallelstil nicht mehr wettbewerbsfähig ist.“ Vettori tat sich nicht ganz so schwer, nicht nur weil es im Team zu einer positiven Gruppendynamik gekommen ist. „Für mich war es ein Jungbrunnen, eine neue Herausforderung. Ich wollte mich damit auseinandersetzen, alles herauskitzeln.“ Und wie war der erste Sprung? „Den bin ich zigmal im Kopf durchgegangen, dann habe ich ihn auf einer kleinen Schanze probiert.“
Probleme gab es danach in Stresssituationen, wenn er in alte Muster zurückgefallen ist. „Letztlich hat es sich rentiert.“ Vettori war der erste von nur acht Springern (Felder, Kuttin, Horngacher, Thoma, Weißflog, Nikkola, Ceccon), der einen Weltcupbewerb im Parallel- und im V-Stil gewonnen hat. Und nur ein Jahr nach parallelem WM-Teamgold holte er in Albertville auf der Normalschanze olympisches Einzel-Gold im V-Stil. Boklöv landete nur auf Platz 47 und beendete im Jänner 1993 seine Karriere und sagte später ohne Wehmut: „Natürlich könnte er auch meinen Namen tragen. So wie im Hochspringen der Flop etwa auch nach Fosbury benannt worden ist. Es ist ja nicht so, dass ich irgendwelche Hilfsmittel gehabt hätte. Ich hatte keine anderen Skier, ich hatte keinen anderen Anzug, was ich hatte, war halt eine andere Technik. Aber eigentlich ist es egal, es ist inzwischen für alle der V-Stil. Schluss.“
In Albertville schickte er eine Sektflasche ins Quartier der ÖSV-Springer, die fünf Medaillen geholt hatten. Samt Widmung: „Gratulation vom Vater des V-Stils.“
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