Die Geschichten hinter Österreichs 100 Goldmedaillen
Cortina. Dort, wo vor 89 Jahren die goldene Serie für Ski-Österreich begonnen hatte, wurde mit dem 100. Weltmeistertitel soeben Jubiläum gefeiert. Die Frage nach dem größten Champion aller Ski-Zeiten aber bleibt offen. Einerseits hat der Internationale Skiverband bis einschließlich 1980 Olympiasieger auch zu Weltmeistern erklärt, andrerseits die Zahl der Bewerbe (Super-G, Parallelbewerb, Teambewerb) später erhöht. Was eine seriöse Rangliste der Titelhamsterer von einst und jetzt erschwert.
Erster
... österreichischer Weltmeister war Gustav Lantschner, der 1932 die Abfahrt von der Tofana gewann, später Deutscher, Filmregisseur und 101 Jahre alt wurde. Schwester Inge Mersin-Lantschner wurde 1933 als Akademikerin vor ihrer Haustür in Innsbruck erste Weltmeisterin (gleich drei Titel).
Populärster
... Champion war jahrzehntelang Toni Sailer, hatte er doch bei Olympia 1956 alle nur möglichen Goldmedaillen (= vier) gewonnen, der vom Krieg noch gezeichneten Bevölkerung zu neuem Selbstwertgefühl verholfen und zwei Jahre danach seine filmreife Karriere bei der WM in Bad Gastein mit drei weiteren Triumphen noch gekrönt, worauf er als „goldener Tonai“ ins Schauspiel-Metier wechselte.
Ältester
... lebender Ski-Champion ist Ernst Hinterseer, der 1960 in Squaw Valley zu Slalom-Gold gewedelt war. Der Vater vom singenden Hansi und Opa von Fußballprofi Lukas Hinterseer erfreut sich 88-jährig in Kitzbühel bester Gesundheit. Nur kann er seinem kickenden Enkerl zur Zeit nicht vor Ort auf die Beine sehen, weil Lukas vom Hamburger SV nach Südkorea wechselte.
Betrogener
... Champion war aus Sicht heimischer Medien gleich zwei Mal Karl Schranz gewesen. Weil man ihm bei Olympia ’68 im Nebel-Slalom von Chamrousse den Sieg aberkannt hatte und ihn von Olympia ’72 in Sapporo wegen Verstoßes gegen den Amateurparagraf ausschloss. Immerhin hängen beim Herrn Karl von St. Anton drei WM-Goldene (von Chamonix 1962 und Gröden 1970) in der Vitrine seines Hotels.
Unerreicht
... wird Annemarie Moser Pröll noch Jahre bleiben. Hatte sie doch fünf Goldmedaillen gewonnen, obwohl es den Super-G (wäre für sie der Super-Bewerb gewesen) noch nicht gab. Und obwohl sie aus privaten Gründen die Olympischen Heimspiele 1976 in Innsbruck ausließ. Die Salzburgerin ist Witwe, Oma, Jägerin. MeToo-Debatten hält sie für überzogen.
Beliebter
... Champion ist auch 45 Jahre nach seinem olympischen Abfahrtssieg in Innsbruck Franz Klammer. Seine Karriere wird zur Zeit verfilmt.
Unvergessen
... wird Petra Kronberger bleiben. Wie sie nach ihrem WM-Sieg 1991 in Saalbach im Zielraum „Wo san denn meine Eltern?“ rief. Und wie sie als Doppel-Olympiasiegerin 1992 und erste Renngewinnerin in allen fünf alpinen Weltcup-Disziplinen – auf Top-Verträge verzichtend – 23-jährig ihre Karriere beendete. Die stets bescheiden gebliebene Salzburgerin, wurde Magistra der Kunstgeschichte.
Tragisch
... endeten die jungen Leben vom Schladminger 78er-Abfahrtsweltmeister Josef Walcher (verunglückte 1984 bei Ski-Club-Rennen in Schladming), vom dreifachen Torlauf-Weltmeister Rudi Nierlich (Autounfall drei Monate nach seinem WM-Sieg 1991 in Saalbach) und Ulli Maier. Der zweifachen Weltmeisterin und Mutti wurde 1994 die Garmischer Abfahrtspiste zum Verhängnis.
Spektakulärster
... Champion war Hermann Maier. Vom ÖSV übersehen, bekam er erst die Startchance in einem Alter, in dem Andere mit dem Rennfahren aufhören. Fazit: sechs Medaillen plus inoffizielle WM-Titel in psychologischer Kriegsführung und im Sprücheklopfen. Während der stets faire Benjamin Raich und aktuell der neue Doppelweltmeister Vincent Kriechmayr der personifizierten Bescheidenheit gleichen.
Erfolgreichster
- 1932 Gustav Lantschner (A)
- 1933 Toni Seelos (S, K); Inge Wersin-Lantschner (A, S, K)
- 1935 Franz Zingerle (A), Toni Seelos (S, K)
- 1936 Rudolph Matt (S) Gerda Paumgarten (S)
- 1948 Trude Beiser (K)
- 1950 Trude Jochum-Beiser (A), Dagmar Rom (R, S)
- 1952 Othmar Schneider (S); Trude Jochum-Beiser (A)
- 1954 Christian Pravda (A) Trude Klecker (S)
- 1956 Toni Sailer (A, S, R, K)
- 1958 Toni Sailer (A, K, R), Josef Rieder (S)
- 1960 Ernst Hinterseer (S)
- 1962 Karl Schranz (A, K), Egon Zimmermann (R); Christl Haas (A), Marianne Jahn (R, S)
- 1964 Egon Zimmermann (A), Josef Stiegler (S); Christl Haas (A)
- 1968 Olga Pall (A)
- 1970 Karl Schranz (R)
- 1972 Annemarie Moser-Pröll (K)
- 1974 David Zwilling (A), Franz Klammer (K); Annemarie Moser-Pröll (A)
- 1976 Franz Klammer (A)
- 1978 Josef Walcher (A); Lea Sölkner (S), Annemarie Moser-Pröll (A, K)
- 1980 Leonhard Stock (A); Annemarie Moser-Pröll (A)
- 1982 Harti Weirather (A)
- 1989 Rudi Nierlich (S, R); Ulrike Maier (SG)
- 1991 Stephan Eberharter (SG, K), Rudi Nierlich (R); Petra Kronberger (A), Ulrike Maier (SG)
- 1993 Karin Buder (S)
- 1996 Patrick Ortlieb (A)
- 1997 Renate Götschl (K)
- 1999 Hermann Maier (A, SG); Alexandra Meissnitzer (SG, R), Renate Götschl (A)
- 2001 Hannes Trinkl (A), Mario Matt (S); Michaela Dorfmeister (A)
- 2003 Michael Walchhofer (A), Stephan Eberharter (SG); Michaela Dorfmeister (SG)
- 2005 Benjamin Raich (S, K), Hermann Maier (R)
- 2007 Mario Matt (S); Niki Hosp (R); Team
- 2009 Manfred Pranger (S); Kathrin Zettel (K)
- 2011 Elisabeth Görgl (A, SG), Marlies Schild (S), Anna Fenninger (K)
- 2013 Marcel Hirscher (S), Team
- 2015 Hannes Reichelt (SG), Marcel Hirscher (K); Anna Fenninger (SG, R); Team
- 2017 Marcel Hirscher (S, R); Nicole Schmidhofer (SG)
- 2019 Marcel Hirscher (S)
- 2021 Vincent Kriechmayr (A, SG), Marco Schwarz (K); Katharina Liensberger (P)
A = Abfahrt
S = Slalom
R = Riesenslalom
SG = Super-G
K = Kombination
P = Parallelbewerb
... Medaillensammler ist (und bleibt) Marcel Hirscher. Neben acht Weltcup-Gesamtsiegen sieben WM-Goldene! Wobei die erste die Schwierigste war, zumal bei der Heim-WM 2013 alle Hoffnungen auf ihm lasteten. Ähnlich nervenstark hatte sich – ebenfalls in Schladming -– bei der WM 1982 (der jetzige Formel-1- und Hahnenkamm-Vermarkter) Harti Weirather erwiesen, als er mit seinem Abfahrtstriumph am Finaltag die Ehre der angeschlagenen Ski-Nation rettete. Mental sensationell stark muss auch Lizzy Görgl gewesen sein, als sie bei der WM-Eröffnung in Garmisch 2011 auf Veranstalterwunsch die WM-Hymne sang und anderntags Super-G-Weltmeisterin wurde und danach noch die zweite Speed-Goldene holte.
Einen WM-Sieg bei einer früheren Damen-Abfahrt verschweigt die ÖSV-Chronik. Erik(a) Schinegger, 1966 Abfahrts-Nummer-1 in Portillo gewesen, überreichte später, zum Mann geworden, die Goldmedaille an Marie Goitschel. Erik Schinegger, inzwischen Opa, ging mit seinem Schicksal ungleich ehrlicher um als der damals erzkonservative Ski-Verband in Tirol.
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