Winter in Tunesien verbindet man nicht unbedingt mit Schnee und Wintersport, sondern eher mit Strandurlaub in warmen Temperaturen. Nur im Westen des Landes gibt es ein paar Gipfel, auf denen ab und zu sogar Schnee liegt. An Skigebiete oder Eisflächen ist aber nicht zu denken.
Doch genau das qualifiziert das Tunesische Olympische Komitee dazu, ein Team zusammenzustellen, das zu den Youth Olympic Games im Winter 2024 nach Gangwon fahren soll, in jene südkoreanische Provinz, in der auch Pyeongchang liegt.
Nachdem dort 2018 die Olympischen Winterspiele über die Bühne gegangen waren, wurde vom südkoreanischen Kulturministerium eine „Legacy Foundation“ gegründet. Eine Stiftung, die sich für die weitere Nutzung der Olympiastätten einsetzen sollte. Diese entwickelte ein Projekt für mehr Inklusion bei Winterspielen – man wollte Nationen mit kaum oder keinem Schnee ins Boot holen, vor allem aus Afrika und Asien. Diese sollen von Winter-Olympia nicht länger ausgeschlossen sein, erklärt Ezera Tshabangu, die Technische Direktorin von ANOCA, einem Zusammenschluss der afrikanischen Olympischen Komitees, dem KURIER.
Beya, Yassine, Jonathan und Sophie waren vier von acht tunesischen Athleten, die im Juni nach Gangwon eingeladen wurden, um dort gemeinsam mit anderen Jugendlichen aus Ländern, in denen es keinen Schnee gibt, Wintersportarten wie Bob, Skeleton, Rennrodeln, Langlauf, Skispringen und Skifahren auszuprobieren. Die vier haben sich qualifiziert, im Dezember wiederzukommen. Sie haben sich mittlerweile auf eine Sportart spezialisiert und trainieren derzeit dort mit südkoreanischen Coaches, um sich in den nächsten Monaten für die YOG 2024 zu qualifizieren. Beya fährt Skeleton, Yassine Ski, Jonathan und Sophie Bob.
„Es liegt an uns, in die Geschichte des tunesischen Sports einzugehen“, steht unter dem Foto des möglichen künftigen tunesischen Winter-Olympia-Teams auf Facebook, auf dem Yassine, Beya, Sophie und Jonathan im Schnee zu sehen sind.
Die Posts auf Social Media macht Ihab Ayed. Er ist eigentlich Präsident des tunesischen Eishockeyverbandes, in Südkorea ist er der Teamleiter des Quartetts, Betreuer, Ansprechperson, Pressesprecher und Scout. Der Franko-Tunesier hat Erfahrung mit dem Zusammenstellen von ungewöhnlichen Teams in Tunesien: Vor wenigen Jahren machte er Schlagzeilen, als sich der leidenschaftliche Eishockeyspieler von Frankreich aus für ein tunesisches Eishockey-Team und Eisflächen in seiner Heimat einsetzte.
Sowohl beim Eishockey-Team als auch bei der Winter-Olympia-Truppe ging Ayed nach einem Prinzip vor, das auch bei der Fußball-WM in Katar – vor allem in Form des so erfolgreichen marokkanischen Teams – für Furore sorgte: Er suchte nicht nur in Tunesien, wo er Sophie und Beya fand, sondern auch unter der Diaspora im Ausland. Junge Menschen mit tunesischem Reisepass, die in Ländern wie Kanada oder Schweden leben, in denen die Trainingsmöglichkeiten vorhanden sind, und die womöglich mit Wintersport schon in Berührung gekommen sind.
„Die Kraft unseres Teams liegt in der Diaspora“, sagt Ayed zum KURIER und weist darauf hin, dass die Suche nach tunesischen Wintersportlern noch lange nicht abgeschlossen ist. „Ich habe zunächst in meinen Handykontakten und unter meinen Facebook-Freunden nach möglichen Athleten gesucht.“ Wenn sich das Projekt herumspricht, hofft er, dass sich noch mehr melden werden.
Und das Ziel des Projekts? Für Beya aus Tunis ganz klar: „Das Ziel ist, zu den YOG zu fahren. Und wenn wir hinfahren, kann das Ziel nur sein, Medaillen zu gewinnen – inshallah (hoffentlich, Anm.)!“ Die Mädchen haben im Bob und Skeleton eine gute Chance, sich zu qualifizieren, weil die internationale Konkurrenz kleiner ist. Eines Tages sollen die Olympischen Spiele das Ziel sein. Vielleicht schon 2026 in Mailand und Cortina.
Warum der Aufwand? „Wir wollen jungen Menschen in diesen Ländern Perspektiven geben“, sagt Ezera Tshabangu. „Sie sollen sehen, dass es noch andere Sportarten gibt.“ Außerdem gibt es in Afrika die Chance, etwa in Lesotho zu trainieren, wo es ein kleines Ski-Gebiet gibt, manche Verbände haben schon Kooperationen abgeschlossen. „Die Atmosphäre hier ist großartig“, erzählt die Nigerianerin, die bei den Jugendlichen in Südkorea ist. „Für manche Kinder war es das erste Mal in der Kälte. Sie gewöhnen sich langsam daran.“
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