Gäbe es auch für öffentliche Auftritte Haltungsnoten, Gregor Schlierenzauer hätte sich am Freitag in Oberstdorf wohl eine 20,0 verdient. So, wie er sich rund um die Eröffnungspressekonferenz der 68. Vierschanzentournee präsentierte. Er scherzte mit den Mannschaftskollegen, begrüßte der 29-Jährige Journalisten per Handschlag und wirkte gelöst und relaxed wie schon lange nicht mehr.
Auf der Schanze war von dieser Lockerheit dann aber nicht mehr viel zu spüren. Mit Ach und Krach und nur dank tatkräftiger Mithilfe seines Mannschaftskollegen Daniel Huber gelang Gregor Schlierenzauer als 50. die Qualifikation für den heutigen Wettkampf.
Aufwärtstrend
Die schwache Performance in der Qualifikation kann nicht darüber hinweg täuschen, dass der Rekordspringer im Weltcup (53 Siege) das erste Mal seit geraumer Zeit von seinem Tun und seinem Weg wieder restlos überzeugt zu sein. Und es ist irgendwie bezeichnend, dass er auf der Suche nach dem verloren gegangenen Erfolg nun wieder bei seinem Jugendtrainer Werner Schuster gelandet ist und auch sonst Leute um sich schart, denen er schon zu besten Zeiten vertraut hatte.
Schlierenzauer hat in diesem Winter bereits einen vierten Platz zu Buche stehen und war zum Beispiel im zweiten Durchgang in Nischnij Tagil sogar seit Langem wieder einmal die Nummer eins. Erlebt das Skispringen gerade die phänomenale Rückkehr eines ehemaligen Phänomens?
„Es ist toll, was schon einmal auf der Habenseite steht. Das bestätigt mich in meiner Arbeit“, erklärt der zweifache Tourneesieger vor dem Auftakt am Sonntag in Oberstdorf (17.30 Uhr). „Aber wenn ich ehrlich bin: Überrascht bin ich davon nicht.“
Sie waren im letzten Winter bei der Tournee und der Heim-WM nur Zuseher und haben nur zwei Mal Weltcuppunkte geholt. Sind Sie von Ihrer Entwicklung wirklich nicht überrascht?
Nein. Weil ich im Sommer schon gesehen habe, dass ich wieder näher dran bin und es in die richtige Richtung geht. Es ist jetzt noch nicht so, dass ich es einfach aus dem Ärmel schütteln kann, aber wenn die Details stimmen, dann bin ich schon sehr gut dabei. Die Ausreißer nach oben zeigen mir, wo die Reise hingeht.
Wo befinden Sie sich gerade auf dieser Reise? Und wo soll sie hinführen?
Ich wachse mit jedem lässigen Sprung. Wenn du in der Luft bist und gleich nach dem Absprung spürst, das geht dahin. Genau für dieses Feeling macht man ja auch den Sport. Da macht’s dann auch gleich viel mehr Spaß. Ich habe jetzt wieder Gänsehautmomente, und das erfüllt mich.
Das war einfach nur ein ewiger Kampf und Krampf in der Luft. Das hat keinen Spaß mehr gemacht. Wobei ich es gar nicht nur auf die letzte Saison abschieben will. Ich hab’ mich ja schon länger schwergetan und eigentlich immer nur improvisiert und irgendwie gehofft, dass das Feeling wieder kommt. Jetzt bin ich wieder an dem Punkt, dass es vom Improvisieren weggeht in Richtung Ausleben. Es geht wieder ins Künstlerische. Das ist das Erfüllende, egal in welcher Sportart. Wenn es zusammenspielt, wenn die Bewegung perfekt gelingt und alles im Fluss ist.
Welchen Anteil hat Ihr Privattrainer Werner Schuster an diesem Aufwärtstrend?
Werner war schon einmal die Schlüsselfigur in meiner Karriere. Er kennt mich in- und auswendig, und er weiß genau, wie ich ticke. Er hat als Trainer das Skispringen geprägt, er hat Psychologie studiert – für mich ist Werner Schuster der beste Skisprungtrainer der Welt. Natürlich gibt es auch andere sehr gute Trainer, aber für mich ist diese Konstellation passend und perfekt. Gerade in der Phase, in der ich mich befinde.
War für Sie die Zusammenarbeit mit Schuster denn ausschlaggebend für die Fortsetzung der Karriere?
Skispringen hat auch sehr viel mit Vertrautheit und Verbundenheit zu tun. Die Chemie muss stimmen, der Werner und ich sprechen einfach die gleiche Sprache. Ich bin nach der letzten Saison schon ein bisschen am Scheidepunkt gestanden, wohin es überhaupt gehen soll. Für mich hat ganz klar das Motto gelautet: entweder gescheit – oder gar nicht.
Mit welchen Ambitionen und Hoffnungen sind Sie nun zur Tournee gekommen?
Ich bin jetzt sicher nicht in der Lage, die Tournee zu gewinnen. Da muss man schon auf dem Boden bleiben. Aber ich glaube, dass mit einem gewissen Momentum und mit meiner Erfahrung vielleicht ein positiver Ausreißer möglich ist. Über alles andere brauchen wir gar nicht reden. So weit bin ich noch nicht, das wäre dann wieder dieser Schritt zu schnell. Das würde mir dann nur wieder auf den Kopf fallen. Ich gehe lieber den Weg der kleinen Schritte. Ich werde älter, aber ich werde auch geduldiger.
Apropos Alter: Sie haben zuletzt einen Schneetag mit gehörlosen Kindern verbracht. Warum liegt Ihnen dieses Thema so am Herzen?
Es berührt mich natürlich enorm, weil ich selbst ein Betroffener bin. Ich bin seit der Geburt auf einem Ohr taub. Dieses Thema ist mir ein großes Anliegen, und ich bin jetzt auch in einem Alter, wo ich es auch bewusst ansprechen kann und auch will.
Haben Sie eine gewisse Vorbildfunktion?
Eine öffentliche Person wie ich kann da sicher leichter etwas ins Rollen bringen und die Leute zum Nachdenken bewegen. Keiner hat ein Problem damit, wenn jemand schlecht sieht und deshalb eine Brille tragen muss. Das Schlechthören oder Taubsein ist leider bei uns noch immer ein Tabuthema. Bei denjenigen, die ein Hörgerät tragen, hat das sicher oft auch mit Scham zu tun. In diesem Bereich hinken wir noch ziemlich hinterher, und ich sehe es einfach als meine Aufgabe, mitzuhelfen, diese Vorurteile abzubauen.
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