Die brennenden Fragen vor der 68. Vierschanzentournee

Die brennenden Fragen vor der 68. Vierschanzentournee
Wer ist der Topfavorit? Endet diesmal die österreichische Durststrecke? Und wo ist Noriaki Kasai? Alles zur Tournee.

Die Zeit rund um den Jahreswechsel ist immer auch Skisprungzeit. Mit dem Bewerb in Oberstdorf startet am Sonntag die 68. Vierschanzentournee. Was erwartet die Fans? Wer fliegt der Konkurrenz um die Ohren? Liegt etwa gar eine Überraschung in der Luft? Das sind die brennendsten Fragen vor dem Saisonhöhepunkt.

  • Wer ist der Gejagte?

Eindeutige Antwort: Ryoyu Kobayashi. Aber nicht, weil er der Titelverteidiger ist, sondern weil sich der Japaner in diesem Winter schon wieder bärenstark präsentiert und nicht von ungefähr das Trikot des Weltcupführenden trägt. In den bisherigen sieben Saisonspringen war Kobayashi nie schlechter als Sechster, die Generalprobe in Engelberg entschied der 23-Jährige für sich. „Wer die Tournee gewinnen will, muss wieder Kobayashi schlagen“, sagt auch der ehemalige deutsche Cheftrainer Werner Schuster, der seit Sommer als Privatcoach von Gregor Schlierenzauer fungiert.

  • Dürfen sich die österreichischen Fans Hoffnungen auf den ersten Gesamtsieg seit 2014/2015 (Stefan Kraft) machen?

Die Ausgangslage ist zumindest so gut wie lange nicht mehr vor einer Tournee. Es ist schon eine Zeit lang her, dass die österreichischen Skispringer als Nummer eins der Nationenwertung nach Oberstdorf gereist sind. Tatsächlich tritt aktuell kein Team mannschaftlich so geschlossen auf wie die Truppe von Trainer-Routinier Andreas Felder, der den Österreichern augenscheinlich auf die Sprünge geholfen hat. Stefan Kraft, Philipp Aschenwald, Jan Hörl, Gregor Schlierenzauer, Daniel Huber – keine andere Skisprungnation hat in diesem Winter schon fünf verschiedene Springer in die Top fünf gebracht. „Wir greifen bei der Tournee an“, versichert Felder.

  • Hat der Sturz von Engelberg bei Stefan Kraft Spuren hinterlassen?

Das wird wohl erst das Springen in Oberstdorf zeigen. Die blauen Flecken an der Hüfte und am Gesäß sollten bis dahin verschwunden sein, ein körperliches Handicap ist beim Salzburger sicher nicht zu befürchten. Es stellt sich vielmehr die Frage, welche Spuren dieser Sturz nach der Landung im Kopf des 26-Jährigen hinterlassen hat.

Es gibt kaum Athleten, die dermaßen sensibel sind wie die Skispringer. Bereits die geringste Kleinigkeit kann in diesem Sport große Auswirkungen haben, Stefan Kraft wäre jedenfalls nicht der Erste, den ein vergleichsweise harmloser Ausrutscher aus der Bahn werfen würde. Wobei der Sieger von Nischnij Tagil erst gar keine negativen Gedanken aufkommen lassen will. Wie meint der Weltcup-Zweite, der schon zwei Mal in Oberstdorf gewonnen hat, doch gleich: „Mit so einem großen Selbstvertrauen wie heuer bin ich noch nie zur Tournee gekommen.“

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Stefan Kraft war bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg gestürzt.

  • Wann stellt Mitgastgeber Deutschland wieder einmal einen Tournee-Gesamtsieger?

Die Deutschen und die Tournee – das ist eine leidige Geschichte. Olympia-Gold, WM-Titel, Gesamtweltcup, sämtliche wichtigen Trophäen haben deutsche Springer in den vergangenen  Jahren  unter Chefcoach Werner Schuster gewonnen, nur bei der Tournee wollte es nie klappen. Mal war die Konkurrenz schlicht und einfach überragend, mal fehlte das Windglück,  nicht nur einmal spielten den Gastgebern beim  Saisonhöhepunkt die Nerven einen Streich.

Aktuell deutet wenig darauf hin, dass die Durststrecke   nach 18 Jahren (Sven Hannawald) ein Ende nehmen würde. Weil sich  Weltmeister Markus Eisenbichler  in einem hartnäckigen Formtief befindet und andere Leistungsträger verletzt sind, bleibt als einziger Hoffnungsträger Karl Geiger. Fraglich, ob der Oberstdorfer den hohen Erwartungen gerecht werden kann.

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Karl Geiger ist der größte deutsche Hoffnungsträger.

Nein, wäre man eigentlich  geneigt zu sagen. Doch die Geschichte der Tournee   hat alle eines Besseren belehrt. Wer hatte  in der Saison 2013/’14 schon  den niederösterreichischen Nobody Thomas Diethart auf der Rechnung?  Wenn alles normal zugeht und nicht der Wind verrückt spielt, dann wird wohl einer aus dem Kreis der üblichen Verdächtigen die Tournee gewinnen. Das Spannende ist, dass jede große Skisprungnation einen Anwärter auf den Gesamtsieg stellt: Japan (Ryoyu Kobayashi), Polen (Kamil Stoch), Norwegen (Daniel-André Tande), Deutschland (Karl GeigerSlowenien (Peter Prevc) und  Österreich (Stefan Kraft).

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Kamil Stoch ist der polnische Anwärter auf den Gesamtsieg.

  • Ist Gregor Schlierenzauer in der Lage, diese Tournee zu gewinnen?

Realistisch  und nicht  durch die rot-weiß-rote Brille betrachtet: Nein.  Der zweifache Tourneesieger hat in diesem Winter zwar  immer wieder  aufgezeigt, wie etwa der vierte Rang in Nischnij Tagil bewies,  doch dem Tiroler fehlt  noch jene Qualität, auf die es bei der Tournee ankommt: Konstanz.  Gut möglich, dass Schlierenzauer   bei dem einen oder anderen Bewerb sogar schon wieder um den Tagessieg mitspringen kann,  eine Top-3-Platzierung  in der Gesamtwertung käme allerdings   einer Riesensensation gleich.  Wobei sich   ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel von der Entwicklung des Rekordspringers durchaus verblüfft und angetan zeigt: „Ich hätte nicht gedacht, dass er  schon wieder so gut ist.“

  • Wer sind die prominenten Abwesenden?

Da wäre einmal Noriaki Kasai, außerdem  noch Noriaki Kasai und, nicht zu vergessen: Noriaki Kasai. Es stellt sich tatsächlich die Frage: Ist eine Tournee eine Tournee, wenn Noriaki Kasai nicht dabei ist? Der Japaner  gehörte jahrzehntelang zum Inventar des Schanzenklassikers,  diesmal  findet sich der rüstige Routinier (47) das erste Mal seit 28 (!) Jahren nur in der Zuseherrolle wieder. Falls es für Kasai ein Trost ist, er befindet sich in prominenter Gesellschaft:  Die deutschen Olympiasieger Andreas Wellinger und Severin Freund  sind nach ihren Kreuzbandrissen ebenfalls nicht mit dabei, auch die norwegische Hoffnung Thomas Aasen Markeng fällt mit einer schweren Knieverletzung aus.

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Der japanische Publikumsliebling Noriaki Kasai ist diesmal nur Zuseher.

  • Wie ist es um den Skisprung-Hype bestellt?  

In Deutschland scheinen die Sportfans mehr auf die Adler zu fliegen als hier in Österreich. Für das Auftaktspringen in Oberstdorf gibt es schon seit einem Monat keine einzige Karte  mehr. Von so einem Ansturm können sie in Innsbruck und auch in Bischofshofen vorerst nur träumen. Allerdings sind die österreichischen Anhänger auch sehr erfolgsverwöhnt. Denn von 2009 bis 2015 hatte Österreich jedes Mal den Tourneesieger gestellt.

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Die deutschen Fans fliegen mehr auf die Adler als die Österreicher.

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