Doch das hätte keiner verstanden, nicht im Winter 2014, in dem die Olympischen Spiele in Sotschi auf dem Programm standen. Vermutlich wäre ihm, der in der Öffentlichkeit ohnehin stets kritisch und skeptisch beäugt wurde, dieser Schritt weg vom Schanzentisch als Schwäche ausgelegt worden.
"Ich hatte damals einfach nicht den Mut, den Schritt raus aus dem Sport zu machen und mir eine Auszeit zu nehmen."
Das war das große Dilemma, in dem Gregor Schlierenzauer über weite Strecken seiner Laufbahn steckte. Seit seinem ersten Sieg im Dezember 2006 in Lillehammer im Alter von nur 16 Jahren sollte er immer abliefern. Die Augen waren stets auf ihn gerichtet, der "Wunderkind" und "Überflieger" genannt wurde. Von diesem jungen Mann aus dem Stubaital wurde in Superlativen geschwärmt.
Gregor Schlierenzauer musste Springen für Springen Erfolge einfahren, er hatte ständig Erwartungen zu erfüllen, die mit jedem Sieg noch höher wurden. "Ich habe immer nur funktionieren müssen und hätte mich als 16-Jähriger schon wie ein Erwachsener verhalten sollte", beklagte sich Schlierenzauer einst. "Was da alles auf einen jungen Menschen einprasselt, muss man erst verkraften."
Wie groß der Druck war, den sich der überehrgeizige Teenager selbst auferlegte, zeigte sich, wenn er einmal nicht die Nummer eins war. Ein zweiter Platz kam in Schlierenzauers Augen einem Absturz gleich. Alexander Pointner, der damalige Erfolgscoach der ÖSV-Skispringer, erinnert sich, "dass beim Gregor manchmal sogar nach Siegen Tränen geflossen sind." Weil die Leistung nicht seinen hohen Ansprüchen genügte.
Das ging so lange gut, so lange Gregor Schlierenzauer erfolgreich war und die Titel und Trophäen die Schattenseiten seines Ruhmes überstrahlten. Als die Siege dann ausblieben, als er seine Umlaufbahn verließ und auf ein Normalmaß gestutzt wurde, merkte der Tiroler erst, welche Opfer er für seine Karriere erbringen musste.
Und was in diesen acht Jahren des Ruhms von seinem ersten Sieg im Dezember 2006 bis zu seinem 53. und letzten im Dezember 2014 nicht alles auf der Strecke geblieben ist. "In meiner Karriere ist alles so schnell gegangen, dass ich gewisse Lebensphasen, die andere in diesem Alter durchmachen, übersprungen habe."
Der Tiroler versuchte nachzuholen, was nicht nachzuholen ist. Mit 25 lässt es sich nicht mehr wie ein Teenager leben. Aber man bekam zusehends den Eindruck, dass Gregor Schlierenzauer seinen Tunnelblick für das Skispringen verlor und das Leben ihm neue Perspektiven eröffnete. Gespräche mit ihm drehten sich in letzter Zeit häufig ums Essen und Reisen, um Fotografie und Design.
Es schien fast so, als hätte er endlich seine innere Ruhe gefunden und Frieden geschlossen mit seiner Karriere. Als hätte er sich irgendwann damit abgefunden, dass es mit dem ersehnten Olympiasieg im Einzel und dem 54. Weltcuperfolg nichts mehr wird.
"Es war eine einzigartige und gefühlsintensive Reise", meinte Gregor Schlierenzauer nun bei seinem stillen Abschied, den er nur auf Social Media verkündete. "So eine Karriere wie ich zu haben, ist Fluch und Segen zugleich."
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