Finale der World Tour in Verbier: "Freeriden darf kein Eiskunstlauf werden"

Finale der World Tour in Verbier: "Freeriden darf kein Eiskunstlauf werden"
Snowboarder und Skifahrer bezwingen am Wochenende den Bec de Rosses in der Schweiz. Doch wie wird entschieden, wer das am besten macht? Der KURIER hat bei einem Schiedsrichter nachgefragt.

Es ist die "ursprünglichste" Form des Snowboardens bzw. Skifahrens. Auf einen Berg zu Fuß hinauf zu gehen, dort die Bretter anzuschnallen und einen Weg hinunter zu finden. Bei der Freeride World Tour ist aber der Weg nach unten nicht das einzige Ziel. Hier geht es vielmehr darum, den – auf mehrere Weisen – kreativsten Lauf zu zeigen.

Österreichs Weltmeisterin von 2018 und aktuell Drittplatzierte, Manuela Mandl, nennt das gerne "Zeichnen im Schnee".

Am kommenden Wochenende werden die Finalistinnen und Finalisten der Tour mit ihren fünf  Stopps auf dem anspruchsvollsten Hang des Jahres antreten. Sie sind zum Bec des Rosses (3.020 m) in Verbier in der Schweiz angereist. Mit einer Hangneigung von mehr als 50 Grad, einem Höhenunterschied von rund 600 Metern und technisch anspruchsvollem Gelände sei er genau das Richtige für das Finale, heißt es beim Veranstalter.

Startreihenfolge

Snowboarderinnen
Snowboarder
Skifahrerinnen
Skifahrer

Livestream

Der Contest beginnt um 9:15 Uhr und wird live auf www.freerideworldtour.com live übertragen.

Bertrand Denervaud ist seit den Anfängen der Tour in den 90er Jahren dabei und hat die Entwicklungen des Sports und von dessen Bewertung von Anfang an miterlebt. Über die Jahre haben die Schiedsrichter der World Tour ein ausgeklügeltes System, wie die Fahrer und Fahrerinnen beurteilt werden. Dabei steht vor allem eines im Vordergrund: den Sport nicht kaputt zu machen und am Ende nicht nur eine Möglichkeit übrig zu lassen, den Hang zu bezwingen.

Finale der World Tour in Verbier: "Freeriden darf kein Eiskunstlauf werden"

FWT-Schiedsrichter Bertrand Denervaud

"Wir wollten ein Bewertungssystem kreieren, das dem Gefühl für den Berg gerecht wird. Ein System, das es offen lässt, in welchem Stil die Rider den Berg herunterfahren. Sie müssen nicht für das System fahren, sondern jeder Stil kann gewinnen, wenn er am stärksten war." Denn die Athleten kommen aus verschiedenen Bereichen: frühere Alpinskifahrer, Boardercrosser, Freestyler, Buggelpistenfahrer… von denen jeder seine Stärken hat. Geschwindigkeit, Kontrolle, Style… Man wolle sie nicht dazu zwingen, alle denselben Stil zu wählen, so der Judge. "Es soll kein Eiskunstlauf werden", sagt Denerveau, bei allem Respekt für den olympischen Sport.

Die Schiedsrichter sind meist selbst passionierte Freerider – ob auf Ski oder Snowboard ist laut Denervaud dabei gar nicht so wichtig. "Die entscheidenden Stellen sind für bei de gleich. Manche sind nur für Snowboarder schwieriger zu fahren. Dann zählen sie in dieser Kategorie mehr." Man vergleiche ohnehin nie die vier Kategorien miteinander.

Die Titel-Anwärter

Vor dem Finale ist in keiner der Kategorien der Titel schon vorab vergeben. Neuling Maxime Chabloz (SUI) beeindruckte bei den Skifahrern mit seiner Kombination aus Freestyle und klassischem Big-Mountain-Riding. Aber je nach den Ergebnissen von Verbier könnten mindestens vier Fahrer noch an ihm vorbeiziehen und Weltmeister werden.

Bei den Frauen meldete sich Jess Hotter (NZL) nach einer Knieverletzung im letzten Jahr eindrucksvoll zurück und liegt derzeit souverän in Führung.

Blake Moller (USA), der 2021 den zweiten Platz in der Gesamtwertung belegte, führt das Ranking der Snowboarder an, dicht gefolgt von Camille Armand (FRA).

Finale der World Tour in Verbier: "Freeriden darf kein Eiskunstlauf werden"

Bei den Snowboarderinnen führt die erfahrene Erika Vikander (USA), Tiphanie Perrotin (FRA) liegt auf dem zweiten Platz allerdings in Schlagdistanz. Manuela Mandl (AUT) liegt zwar an dritter Stelle, ein Gesamtsieg ist aber heuer nicht mehr in Griffweite. "Aber Verbier würde ich schon noch gern einmal gewinnen", sagte sie nach dem ersten Teil des Finales vor zehn Tagen in Fieberbrunn in Tirol.

Im "Tunnel"

Noch einmal heißt es "volle Konzentration". Und zwar nicht nur für die Fahrerinnen und Fahrer, sondern auch für das Schiedsrichterteam rund um Bertrand Denervaud. Beim Bewerb sitzen die Judges dann bereits vor dem Start im Zelt – mit bestem Blick auf den Hang. Nachdem über die Bewertung der einzelnen Stellen geredet wurde, kann es losgehen. Ferngläser in die Hand – und fokussieren.

"Das ist vielleicht die wichtigste Anforderung an die Judges", meint Denervaud. "Du musst dreieinhalb Stunden durchgehend fokussiert bleiben. Darfst nicht abdriften und zum passiven Zuschauer werden." Was im Judging-Zelt außerdem streng verboten ist: Jedes "Wow", "Stark" oder Ähnliches. "Keiner soll den anderen beeinflussen."

Auch wenn manches auch die Judges immer noch beeindruckt.

Drei der fünf Judges bewerten dann den Run des Fahrers auf dem Hang live, ohne Hilfsmittel außer dem Fernglas. Sie beginnen bei 50 zu zählen, bei jedem Fehler „sinkt“ die „Temperatur“, wie es Denervaud nennt, bei Schwierigkeiten, die gut gemeistert werden oder bei anderen beeindruckenden Passagen „steigt“ sie. Nach dem Run zeigen die Schiedsrichter ohne Worte auf einer Skala an, wieviele Punkte sie vergeben würden. Hinter ihnen kontrolliert der „Head-Judge“, ob das übereinstimmt. Danach wird das Fine-Tuning ausdiskutiert. Der oder die vierte im Zelt ist der Video-Judge, der im Zweifel Passagen noch einmal abspielt. 

Wenn die Punkte vergeben sind, haben die Richter noch etwa 20 Sekunden, um Notizen zu machen. Dann folgt der nächste Fahrer. 

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