Die ewige Ski-Dominanz des ÖSV steht auf wackeligen Beinen

Stimmungswandel: Österreichs Skifans hatten viel Grund zu jubeln. Nun droht der ÖSV bei den Herren die Vormachtstellung zu verlieren. 
Weil Österreichs Herren nicht wie üblich in Führung liegen, ist der Nationencup ein Thema. Was sind die Gründe für den Rückfall? Und warum es an den Frauen ist, die ÖSV-Fahnen hochzuhalten.

Ob Präsident Schröcksnadel ihm denn jeden Tag die aktuelle Wertung im Nationencup faxe, wurde Andreas Puelacher zuletzt schon scherzhaft gefragt. Damit trifft man beim Chef der Ski-Herren durchaus einen wunden Punkt. Als seine Läufer in den letzten Wintern die Nationenwertung nach Belieben dominiert hatten, war dieses Länderranking in der Öffentlichkeit selten ein Thema gewesen. Jetzt muss sich Puelacher praktisch nach jedem Rennen rechtfertigen, wieso die ÖSV-Herren neuerdings nicht mehr die Vormachtstellung haben. „In den letzten Jahren bin ich nie nach der Nationenwertung gefragt worden.“

Weil der Nationencup halt auch nie große Fragen aufwarf: Ein Sieg der Österreicher galt über Ski-Generationen als selbstverständlich, in der fast 30-jährigen Regentschaft von Peter Schröcksnadel waren die ÖSV-Herren nur einmal nicht die Nummer eins (1991/’92), das Overall-Ranking (Frauen und Herren) dominiert Österreich gar schon seit drei Jahrzehnten.

Nummer vier

Aktuell führt der ÖSV nur dank der Punkte der Damen noch die Gesamtwertung an, die Herren sind mittlerweile hinter der Schweiz, Norwegen und Frankreich nur noch die vierte Kraft. „Ich würde ruhiger schlafen, wenn wir 500 Punkte vorne wären“, gibt Andreas Puelacher zu.

Der Rückstand auf Leader Schweiz mag mit 280 Zählern zwar überschaubar sein, der Coach hegt inzwischen aber ernste Zweifel, ob der Rivale überhaupt noch abgefangen werden kann. „Für die Herren wird es schon schwer, die Schweizer einzuholen“, sagte Puelacher erst diese Woche. „Mir fehlen die Leute.“

Der Ausfall von Hannes Reichelt (Kreuzbandriss) war der nächste Rückschlag für das Herren-Team. Puelacher nennt den Routinier einen „500-Punkte-Fahrer“, nur die Länder, die mehrere solcher fleißigen Punktesammler in den Reihen haben, können im Nationencup reüssieren. „Marco Schwarz ist nach dem Kreuzbandriss im Aufbau, Manuel Feller war lange nicht dabei, diese Zusatzpunkte gehen uns einfach ab.“

Der Hirscher-Faktor

Was die ÖSV-Herren freilich am meisten vermissen, das sind die Punkte von Marcel Hirscher. Der Superstar war in den letzten Wintern oft für mehr als ein Viertel aller österreichischen Zähler verantwortlich und der eigentliche Vater der Nationencup-Siege. „Rechnet man die Punkte vom Marcel weg, dann wären die Schweizer schon letzte Saison vorne gewesen“, weiß ÖSV-Direktor Anton Giger. „Und das gar nicht so knapp. Hirscher hat wahnsinnig viel abgedeckt. Wir müssen schauen, dass wir mit den Herren überhaupt die Nationenwertung gewinnen. “

Neue Rangordnung

Tatsächlich scheinen sich die Kräfteverhältnisse gerade zu verschieben. Oder zumindest zu relativieren, je nachdem. Blickt man jetzt einmal nicht durch die rot-weiß-rote Skibrille, dann darf man festhalten: Der Herren-Skisport ist nach dem Abgang von Hirscher spannender und ausgeglichener geworden. So sind im Gesamtweltcup Läufer aus fünf Nationen in den Top sechs vertreten, die ersten sieben Athleten sind nur durch 114 Punkte getrennt.

Natürlich hat die Konkurrenz längst Morgenluft gewittert. Vor allem aus der Schweiz waren zuletzt sehr forsche Töne gen Osten zu vernehmen. „Ich bin ganz ehrlich: Wir wollen die Nummer eins sein. Das ist in unseren Köpfen“, sagt Verbandspräsident Urs Lehmann.

Ein Triumph über den Rivalen wäre für die Eidgenossen, die in den letzten Jahren angesichts der rot-weiß-roten Ski-Dominanz oft eher Leidgenossen waren, mehr als nur ein Prestigeerfolg. Es wäre vor allem eine riesige Genugtuung für die stolze Skination.

Größere Bedeutung

„Die Schweiz muss jetzt den Sack zumachen“, fordert denn auch Ski-Legende Bernhard Russi. Und er würde eine Wachablöse nach drei Jahrzehnten österreichischer Dominanz auch keineswegs als Schmach für den ÖSV sehen. „Es wäre auch gut für Österreich“, glaubt Russi. „Denn dann hätte dieser Nationencup gleich eine viel größere Bedeutung. In den letzten Jahren hat ja keiner mehr danach gefragt, weil es selbstverständlich war, dass die Österreicher gewinnen.“

Ob das Peter Schröcksnadel auch so sieht?

Der ÖSV-Präsident macht kein Hehl daraus, wie wichtig ihm diese Nationenwertung ist. Das wird auch in der Verbandszentrale in Innsbruck augenscheinlich, in den Vitrinen sind dort all die Kristallkugeln für die Seriensiege im Länderranking ausgestellt.

Hoffnung Damen

„Auch wenn es in der Öffentlichkeit vielleicht nicht so viel Aufmerksamkeit genießt: Mir persönlich war der Nationencup schon immer ein großes Anliegen“, erklärt Peter Schröcksnadel. Und man kann sich förmlich vorstellen, wie genau er in diesem Winter die Ergebnislisten studiert und eifrig die Weltcuppunkte seiner Athleten addiert.

Und sollten die Herren tatsächlich das erste Mal seit 1992 den Winter nicht als Erste abschließen, wonach es im Moment aussieht, dann bleibt als Trost immer noch die Gesamtwertung. Noch vor drei Jahren war die Damen-Abteilung kritisiert worden, weil es nicht für den ersten Platz gereicht hatte.

Nun ist es plötzlich an den gescholtenen ÖSV-Läuferinnen, die Ehre der gesamten Skination zu retten.

Aktuelle Nationenwertung Damen:

1.

Österreich

1634

2.

Italien

1362

3.

Schweiz

1192

4.

USA

964

5.

Norwegen

864

6.

Deutschland

834

7.

Schweden

583

8.

Slowakei

513

9.

Frankreich

403

10.

Slowenien

294

11.

Tschechien

206

12.

Kanada

199

13.

Neuseeland

155

14.

Liechtenstein

54

15.

Großbritannien

37

16.

Russland

22

17.

Japan

16

18.

Kroatien

5

19.

Finnland

3

20.

Niederlande

1

Aktuelle Nationenwertung Herren:

1.

Schweiz

1791

2.

Norwegen

1769

3.

Frankreich

1656

4.

Österreich

1511

5.

Italien

912

6.

USA

757

7.

Deutschland

627

8.

Schweden

336

9.

Slowenien

290

10.

Kanada

169

11.

Kroatien

142

12.

Russland

92

13.

Bulgarien

22

14.

Belgien

16

15.

Großbritannien

14

16.

Tschechien

12

17.

Slowakei

4

18.

Finnland

1

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