Christian Scherer ist seit zwei Jahren Generalsekretär des ÖSV. Vom ersten Tag an war der 37-jährige Osttiroler mit Krisen konfrontiert.
KURIER: Sind Sie um Ihren Job zu beneiden?
Christian Scherer: Es war mit Sicherheit kein ruhiges Gewässer, in dem ich mich bewegt habe. Ich musste nicht nur Schwimmen lernen, sondern ich musste auf rauer See schwimmen lernen. Andererseits hat das den Vorteil mit sich gebracht, dass ich gleich ganz tief in die Materie eingetaucht bin. Ein sehr großer Vorteil ist es, dass Peter Schröcksnadel mit seinem Team einen Skiverband aufgebaut hat, der sehr gut aufgestellt ist und deshalb sehr gut dasteht. Wir müssen das Rad jetzt nicht neu erfinden, wir müssen es in Schwung halten.
Was sind die größten Herausforderungen des kommenden Winters?
Wichtig wird sein, dass man erkennt, dass eine Energiekrise nur solidarisch zu lösen ist und auch, dass der Wintersport in all seinen Facetten, vom Tourismus bis zum Leistungs- und Breitensport, ein wesentlicher Wirtschaftszweig ist und dementsprechend auch als solcher behandelt werden muss. Für ihn sollten die gleichen Maßstäbe gelten wie für alles andere. Darüber hinaus sehe ich vor allem eine große Herausforderung.
Nämlich?
Es ist wirklich eine Herausforderung, in so schwierigen Zeiten wie diesen eine positive Grundstimmung zu behalten. Auch eine positive Stimmung für Wintertourismus und den Sport im Allgemeinen. Die Regierung hat mit der Erhöhung der Sportförderungen erfreulicherweise erste sichtbare Zeichen gesetzt, dass ihr der Sport ein Anliegen ist. Das war längst überfällig.
Alles spricht gerade über Energiesparen und die explodierenden Kosten. In sozialen Medien wird die Frage aufgeworfen, ob man in Zeiten wie diesen Flutlichtevents wie das Nightrace überhaupt veranstalten darf.
Da sollten wir die Kirche im Dorf lassen. Es gibt gerade auf diesem Sektor mittlerweile neueste Technologien, die sehr effizient und energiesparend sind. Man sollte jetzt bitte auch nicht in Polemik verfallen, sondern es ist vielmehr ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein gefragt. Ich denke, gerade jetzt braucht es auch Dinge, an denen sich die Bevölkerung erfreuen kann. Wenn man alles einschränkt oder verbietet, würde das nur dazu führen, dass die Unzufriedenheit noch größer wird.
Wie ist es Ihrer Ansicht nach grundsätzlich um das Image des Skisports bestellt?
Der Zuspruch von Skifahrern, die zu uns nach Österreich kommen, der Zuspruch der Menschen, die unsere Bewerbe live oder im Fernsehen verfolgen, ist konstant hoch. Man hat aber schon den Eindruck, dass es da eine kleine Gruppe gibt, die ein Imageproblem herbeireden will, das wird dann auch medial transportiert. Wobei ich glaube, dass man auch seitens des Wintertourismus und der Seilbahnwirtschaft nicht immer gut und glücklich kommuniziert hat.
Was hätten Sie anders gemacht?
Man hätte zum Beispiel viel mehr kommunizieren und darauf hinweisen müssen, was der Tourismus alles an Positivem bewirkt hat. Dass es in den hintersten Tälern heute eine gute Infrastruktur gibt, dass es dort Arbeitsplätze gibt, dass die Landflucht aufgehört hat – das hat man in der Kommunikation mit Sicherheit teilweise zu wenig in den Fokus gerückt.
Auch der Österreichische Skiverband wird gerne kritisch beäugt. Stört Sie das?
Nein, ganz und gar nicht. Dass die Öffentlichkeit genau verfolgt, was wir machen, zeigt mir nur, dass man sich mit dem Skiverband auseinandersetzt. Der ÖSV hat in diesem Land eine gewisse Relevanz. Dessen sind wir uns auch bewusst. Wir sind sehr wohl eine Organisation, die eine Meinung zu gewissen Themen hat, diese vertritt und auch kundtut. Davon werden wir uns auch nicht abbringen lassen, wenn wir einmal kritisiert werden.
Wie soll der ÖSV wahrgenommen werden in der Öffentlichkeit?
Hauptziel ist es, dass wir als verlässlicher Partner für den Spitzen- wie Breitensport wahrgenommen werden. Wir sind im Grunde eine sehr soziale Organisation. Auch wenn das von manchen möglicherweise anders gesehen wird.
Eine soziale Organisation?
Wir verdienen de facto nur mit zwei, drei Sportarten Geld. Damit finanzieren wir dann den Rest. Wenn wir wirklich nur kommerziell getrieben wären, dann dürften wir einige Sportarten gar nicht fördern bzw. machen. Aber wir haben eine Verantwortung – und die nehmen wir auch wahr.
Ist Österreich in Ihren Augen ein Sportland?
Wenn man die Erfolge in gewissen Disziplinen betrachtet, ist Österreich definitiv eine Sportnation. Generell würde ich aber eher sagen: Nein. Wir haben kein echtes Bewusstsein für den Sport. In Österreich ist Trainer noch kein Beruf. Da braucht es noch viel Arbeit. Deshalb wäre es vermessen, uns als Sportland zu bezeichnen.
Der Weltcup bekommt im November und Dezember Konkurrenz durch die Fußball-WM. Fürchten Sie, dass der Wintersport dadurch ins Abseits gedrängt wird?
Ideal ist das natürlich nicht. Mit Jammern wird man aber nichts verändern. Wir müssen sportlich erfolgreich sein, dann kommen die TV-Quoten von alleine und die Österreicher werden sich unsere Rennen anschauen. Das ist auch ein Auftrag an die Mannschaft und an den Betreuerstab.
Was halten Sie persönlich von der Fußball-WM in Katar?
Ich bin generell einer, der sagt, dass der Sport authentisch sein muss. Fußballspielen in der Wüste in klimatisierten Stadien ist weit weg davon. Diese WM ist für mich nicht erbaulich und ich kann mich nicht damit anfreunden. Ich hätte die Gelegenheit gehabt, mir die WM vor Ort anzuschauen, aber darauf verzichte ich gerne. Eine WM um diese Jahreszeit in Katar – das ist einfach sehr kommerzgetrieben.
Weil Sie gerade vom authentischen Sport gesprochen haben. Saudi Arabien wird 2029 die Asien-Winterspiele austragen.
Durch solche Entwicklungen kommt unsere gesamte Branche ein wenig in Verruf. Ja, man muss Entwicklungen zulassen, aber eines kann und will ich nicht verstehen: Wenn man mit viel Geld versucht, in Gegenden, wo es nicht einmal natürlichen Schnee gibt, künstlich einen Winter herbeizuzaubern. Das ist nicht nachvollziehbar. Man sollte nicht alles von vorneherein verdammen, aber als ich das mit Saudi Arabien gehört habe, dachte ich, dass es sich um einen Scherz handeln muss.
Es wurde aber auch schon über Hallenrennen Dubai diskutiert.
Ich bin der Meinung, dass der Skisport erst dann breiter werden sollte, wenn die Hausaufgaben gemacht sind. Bevor man an die Internationalisierung denkt, sollte man sich zuerst am eigenen Markt zurechtfinden und behaupten. Und das ist Europa, hier generiert die Ski-Industrie 60 bis 70 Prozent des Umsatzes.
Von welchen Hausaufgaben sprechen Sie?
Davon, dass es nicht mehr solch eklatante Unterschiede zwischen richtig toll aufgezogenen Rennen wie in Kitzbühel, Schladming, Flachau, oder auch Adelboden, Wengen,und Rennen in anderen Ländern in Europa geben sollte. An manchen Orten glaubt man, man sei bei einer anderen Veranstaltung. Ziel muss es sein, gute einheitliche Standards bei den Weltcuprennen zu erreichen.
Wie kann das funktionieren?
Eine langfristige Weltcup-Kalenderplanung würde bereits helfen. Im Biathlon gibt es diese, deshalb haben die Veranstaltungsorte auch Geld in die Hand genommen und in die Infrastruktur investiert. Ich kann nachvollziehen, dass manche Orte auf Investitionen verzichten, weil sie nicht wissen, ob sie in zwei, drei Jahren noch im Kalender aufscheinen. Das hemmt die Entwicklung. Aber das sind hausgemachte Probleme.
Darf man das als Kritik am FIS-Präsidenten Johan Eliasch auffassen?
Sachlich betrachtet muss man festhalten, dass gewisse Visionen des Herrn Eliasch in Ordnung sind. Veränderung ist nie einfach, aber Veränderung wird nur dann möglich sein und gut gelingen, wenn es eine Kommunikation gibt. Wenn man das Thema miteinander angeht und seine Mitglieder respektvoll behandelt.
Wie ist das Verhältnis zwischen dem ÖSV und dem FIS-Präsidenten?
Ich sage es ganz offen: Die Situation ist durchaus angespannt. Es sind gewisse Dinge vorgefallen, die man einfach nicht goutieren kann und die man auch ansprechen muss. Es bringt uns aber nichts, wenn wir jetzt jahrelang im Infight und im Clinch liegen. Es wird irgendwann ein Commitment brauchen, in welche Richtung es geht. Man muss sich auch mit der Frage auseinandersetzen: Sind die handelnden Personen die Richtigen? Kann man sich zusammenraufen? Braucht es ein reinigendes Gewitter?
Was braucht es wirklich?
Wir als ÖSV sehen das sehr nüchtern. Wir versuchen die Emotionen so gut es geht rauszunehmen. Auf Grund gewisser Entwicklungen und Vorgangsweisen sind wir ehrlicherweise aber auch besorgt. Und wir werden die Entwicklungen genau beobachten und gegebenenfalls auch die nötigen Schritte einleiten, die durchaus auch unangenehm sein können. Wir sind jedenfalls nicht Mitglied in der FIS, um überall Sympathiepunkte zu gewinnen. Wir haben in erster Linie eine Verantwortung gegenüber unseren Sportlern und der großen Ski-Community in Österreich.
Es gab ja das Drohszenario, die FIS würde aufmuckenden Verbänden die Weltcuprennen entziehen.
Man hört ja oft von Seiten des Weltverbandes: Der Weltcup gehört der FIS. Was dabei aber vergessen wird: Du brauchst Assets, du brauchst erfolgreiche Sportler, du brauchst tolle Veranstaltungen mit Tradition. Die haben wir. Man stelle sich einmal einen offiziellen FIS-Weltcup vor ohne die Vierschanzentournee, ohne Schladming, ohne Sölden, ohne ein Hahnenkammrennen in Kitzbühel oder ohne das Nordic Triple in Seefeld. Deshalb denke ich, dass der ÖSV sehr selbstbewusst in diese Diskussion und in die Zukunft gehen kann.
Wir krisenresistent ist der ÖSV. Haben Sie Sorgen?
Wir haben in den letzten 16 Monaten alle Verträge verlängern und sogar neue Partner gewinnen können. Wir erleben einen Zuspruch. Warum? Weil das Produkt gut ist, weil die Struktur gut ist, weil wir uns über Jahrzehnte den Ruf als verlässlicher Partner aufgebaut haben. Auch und gerade in in schwierigen Zeiten.
Der ÖSV hat für diesen Winter das höchste Sportbudget der Geschichte abgesegnet. Wann sehen Sie den finanziellen Plafond erreicht?
Mehr ginge immer. Mehr würde aber auch bedeuten, gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen zu müssen. Skirennen im Pay-TV, sprich keine Positionierung mehr im linearen TV. Das sind Themen, die wir als ÖSV aber klar ablehnen. Wir sagen: Der Skisport ist ein Schaufenster für den Winter und den Tourismus, deshalb muss es in frei zugänglichen Sendern laufen. Und eines noch: Finanzielle Ressourcen sind wichtig, aber uns zeigen andere Verbände vor, dass man auch mit weniger Geld erfolgreich sein kann. Nur der höchste Etat heißt nicht, dass man auch die größten Erfolge hat.
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