Wie Joshua dem Box-Weltmeister Usyk die Show stahl
"Dank Gott, kommen die Gürtel (WBO, WBA, IBF und IBO, Anm.) wieder zurück in die Ukraine. Der Sieg gehört uns", sagte der Schwergewichts-Weltmeister Oleksandr Usyk nach dem Titelkampf in Saudi-Arabien.
Bis zum Schlussgong ging es im hoch spannenden Zwölf-Runder im Superdome in Jeddha hin und her. Die zwei Olympiasieger von 2012 demonstrierten ihre sportliche Entwicklung seit dem letzten Aufeinandertreffen vor 329 Tagen. Doch nichts konnte Usyk stoppen. Der 35-Jährige gewann seinen 20. Profi-Kampf nach Punkten und fügte "AJ" die dritte und bitterste Niederlage seiner Profi-Karriere zu.
"Zu viel steht auf dem Spiel"
"Ich weiß nicht, ob ich damit richtig liege, aber in Runde acht sah ich in ‚AJs’ Augen, dass er sich bereits siegreich fühlte. Ich habe zu mir selbst gesagt: ‚Du kannst jetzt nicht aufhören! Zu viel steht auf dem Spiel’."
Sein Sieg war verdient - auch wenn sein Kontrahent selbst auf die eigene Vorstellung stolz sein darf. Vor allem, wenn man bedenkt, wie "AJ" vor elf Monaten noch von Usyk ausgeboxt wurde.
Und zunächst schien "AJ" mit dem Kampf auch zufrieden zu sein. Er kniete sich zu Usyk in die Ringmitte, beide reichten sich die Hand und hielten anschließend gemeinsam die ukrainische Flagge in die Höhe.
Punktesieg Usyk
Nach der Urteilsverkündung war "AJ" jedoch sichtlich aufgelöst und wollte nicht glauben, dass er erneut verloren hatte. Frustriert verließ er den Ring und war bereits am Weg in die Kabine, als er nochmal umkehrte. Im Ring stand er Usyk gegenüber, nahm dessen ukrainische Flagge und hängte sie sich um die Schultern. "AJ" begann auf den Weltmeister einzureden: "Du bist nicht stark, wie hast du mich geschlagen. Wie? ... Was du gemacht hast, ist Kinderboxen".
Es hätte Usyks Moment sein sollen, doch Joshua nahm sich das Mikrofon und hielt einen wirren Monolog über sich, sein Leben und das Boxen. Spätestens in diesem Moment, hätte auch sein Team einschreiten und ihm das Mikro aus der Hand nehmen müssen. Als der Brite realisierte, dass er Usyk die Show stiehlt, änderte er den Ton und bezeichnete den 35-Jährigen als "phänomenales Talent". Usyk ließ den Auftritt geduldig über sich ergehen.
Bei der Pressekonferenz war "AJ" derart aufgelöst, dass sein Promoter Eddie Hearn zwischenzeitlich die Fragen der Journalisten beantwortete, während er sich sammelte.
Wahrscheinlich erkannte Anthony Joshua an diesem Abend, dass er mit seinen boxerischen Fähigkeiten (noch) nicht gegen Usyk ankam. In einem Instagram-Post schreib "AJ" am Sonntagabend über die Niederlage: "Ich hatte zwei Kämpfe, einen mit Usyk und einen mit meinen Emotionen, und in beiden hatte ich das Nachsehen."
Erfahrungsschatz
Usyk begann als Kind mit dem Boxen, weil sein verstorbener Vater zu ihm sagte, dass er den Sport machen solle und erfolgreich sein wird. In seinen 350 Amateurkämpfen (15 Niederlagen) gewann der 35-Jährige alles, was es zu gewinnen gab. Während "AJ" erst mit 18 Jahren das Boxen für sich entdeckte - und Usyks Kampferfahrungen niemals aufholen wird.
Im Interview nach dem Kampf gab "AJ" zu, mit der Performance nicht zufrieden zu sein, "weil ich nicht gewonnen habe". Aber er sei ein Kämpfer und die Leidenschaft fürs Boxen wird niemals enden.
Veränderungen
Genauso Schwergewichts-Weltmeister Usyk: "Solange mein Herz schlägt, werde ich boxen", sagte der wortkarge Champ, der jetzt zurück in die Ukraine gehen will.
Vieles hat sich für ihn seit dem ersten Kampf gegen "AJ" geändert: Russland ist in die Ukraine einmarschiert, Usyks Zuhause wurde von russischen Soldaten besetzt, er selbst meldete sich an der Front und betete jeden Tag, nicht erschossen zu werden oder einen Russen töten zu müssen. Von den Klitschkos und anderen Ukrainern musste er überredet werden, das Rematch gegen "AJ" anzutreten und das Kriegsland zu verlassen.
Eines blieb gleich: Usyk steigt auch beim Rematch als Sieger aus dem Ring.
Bei all dem Trubel ging der erste Profi-Kampf zwischen zwei Frauen in Saudi-Arabien trotz Knock-out in der ersten Runde völlig unter. Die Britin Ramla Ali gewann eindrucksvoll gegen Crystal Nova Price aus der Dominikanischen Republik.
Kommentare