Weltmeister Rogan zu Weltmeister Auböck: "Wünsche dir ein bisschen Arroganz"
Markus Rogan und Felix Auböck sind die einzigen Schwimmweltmeister Österreichs. Was eint die beiden? Was unterscheidet sie? Ein Gespräch über Zweifel im Wasser, den Wert einer Medaille und Diskotheken in der EM-Stadt Rom.
Am 13. April 2008 wurde Markus Rogan der erste Schwimmweltmeister Österreichs. Das Alleinstellungsmerkmal ist seit Dezember des Vorjahres Geschichte, als Felix Auböck zu WM-Gold kraulte. Ab Sonntag will der Niederösterreicher bei der EM in Rom nachlegen. Die Ausnahmeathleten schätzen und kennen einander, trotz großer Entfernung. Rogan, 40, lebt und arbeitet als Psychotherapeut in den USA, Auböck, 26, trainiert und studiert Politikwissenschaft in England.
Für den KURIER haben die beiden miteinander geplaudert – über Schwimmen und Rekorde, über Ängste und Geld, von Weltmeister zu Weltmeister.
Markus Rogan: Und Felix, gewinnst du in Rom?
Felix Auböck: Es ist eine gute Chance, so viel steht fest. Aber jetzt gibt es wieder 400-Meter-Schwimmer in Europa, die um die 3:41 Minuten schwimmen können.
Rogan: Aber der ist doch ein deutscher Schwitzer (Lukas Märtens, Anmerkung), wie wir früher gesagt hätten. Das kenne ich noch aus meiner aktiven Zeit. Die legen immer bei den deutschen Meisterschaften bombastische Zeiten hin und bei den Großereignissen gehen Sie unter. Hast du gesehen, was sie über ihn in Deutschland geschrieben haben?
Auböck: Nicht wirklich.
Rogan: Die Experten loben ihn bereits, weil er fast an seine beste Zeit herankommt. Die Deutschen schaffen es perfekt, dass sie beim Topereignis nicht ihre beste Leistung abrufen.
Auböck: Wenn ich gewinnen möchte, muss ich Bestzeit schwimmen. Das ist mir schon klar.
Rogan: Oder dem Deutschen tief in die Augen schauen.
Auböck: Ich freu‘ mich jedenfalls auf den Wettkampf in Rom. Ich war noch nie dort.
Rogan: Pass nur auf die Discos auf! (lacht)
Im Sommer 2009 kam Rogan als Kurzbahnweltmeister zu den Weltmeisterschaften in die italienische Hauptstadt. Der Bewerb endete im Desaster. Er verpasste sowohl über 100 als auch über 200 Meter Rücken das Finale, in einer Diskothek kam es zur „Prügelaffäre“ mit einem Türsteher. Dennoch ist er bis heute der bekannteste und mit 34 Medaillen bei Großereignissen der erfolgreichste Schwimmer Österreichs.
Rogan: Ich muss dir ja gratulieren. Du bist einer der wenigen, der es geschafft hat, Weltmeister zu werden ohne EM-Titel. Das ist ein Kunststück.
Auböck: Ich seh‘ mich nicht als Kurzbahnschwimmer. Ich bin überzeugt, dass ich auf der Langbahn besser bin. Ich weiß auch, dass ich mein Level auf der Langbahn noch nicht erreicht habe.
Auböck: Der Vorlauf geht für mich immer sehr einfach. Ich weiß mittlerweile, dass ich so gut bin, dass ich im Finale schwimmen werde. Deshalb fühle ich mich mittlerweile im Vorlauf sehr wohl und kann Leistung bringen. Im 400er- Finale bin ich in einer anderen Situation. Ich bin nicht der Schnellste auf den ersten 100 Metern. Bei 200 Metern bin ich dann oft eine Körperlänge hinten und das fühlt sich unangenehm an. Ich spüre, dass ich in dieser Situation gestresst bin. Und dann tritt ein, dass ich auf der restlichen Strecke zu viel Energie verbrauche, um hinterher zu kommen. Ich zerbreche auf den letzten 50 Metern. Das zeigen auch die Daten: In den großen Finali waren die letzten 50 Meter meine langsamsten im ganzen Jahr, obwohl ich in bester Form war.
Rogan: Ist dir bewusst, dass du dieses Problem erfindest?
Auböck: Ich glaub‘ schon daran.
Rogan: Ich hätte 2002 Europameister werden sollen, hab‘ mir aber vor dem Finale so in die Hosen gemacht, weil ich mich viel zu sehr mit den anderen beschäftigt habe. Ich hab‘ dann drei Jahre gebraucht, um EM-Gold zu holen. Es war ein langer Prozess, dass ich ein Finale so schwimmen kann wie einen Vorlauf. Weißt du was das Tolle ist?
Auböck: Was denn?
Rogan: Schwimmen ist der einzige große Sport, in der alle Variablen total kontrolliert und immer gleich sind. Die Bahn ist immer gleich, die Wassertemperatur ist immer dieselbe, die Unterschiede der Wellenbewegungen von Bahn zu Bahn sind ebenfalls minimal. Das heißt, alles was du mit dem Gegner interpretierst, ist frei erfunden. Ich glaube, dass du rein vom Schwimmen her der viel bessere Schwimmer bist, als ich es je war. Ich war halt ein bisschen arroganter und narzisstischer. Ich habe die Show und den Wettkampf viel mehr geliebt. Dagegen habe ich immer geschwitzt, dass ich durch den Vorlauf komme.
Auböck: Ich bin noch nicht in der Situation, dass ich im Finale zu hundert Prozent Kontrolle über meine Bahn habe. Aber ich arbeite daran. Wenn ich im Wasser bin und die Füße des Gegners vor mir sehe, werde ich hektisch.
Rogan: Darf ich dir ein bisschen Narzissmus wünschen? Dreh doch die Situation um! Wenn du eine Körperlänge hinten bist, hol eine halbe auf und ich schwör dir, dein Gegner bekommt Stress. Es gibt ohnehin Millionen Ausreden, um nicht zu gewinnen. Die allermeisten gewinnen nicht.
Auböck: Ich glaube trotzdem, dass ich es schneller angehen muss auf den ersten 200 Metern, weil ich das Rennen sonst verpasse.
Rogan: Wer erzählt so was?
Auböck: Die anderen gehen mit 1:49 Minuten die ersten 200 Meter an und ich bin bei 1:51…
Rogan: Aber die sind doch auf einer anderen Bahn. Das ist nicht Kampfschwimmen. Ich glaube, wir reden über zwei verschiedene Dinge. Das eine ist das Zu-Langsam-Angehen. Das andere ist, eine zu langsame Endzeit zu schwimmen. Du hast den Körper, die Technik, das Training, um alles zu gewinnen. Dein einziger Gegner auf deiner Bahn ist Felix. Du gehst das Rennen wie eine Master-Arbeit an, aber Schwimmen ist viel einfacher. Und wünschte, ich hätte mir manchmal weniger Sorgen gemacht. Es gab viele Rennen, die ich in anderen Bahnen geschwommen bin und dadurch verloren habe.
Bei der Langbahn-WM im Juni in Budapest verpasste Auböck als Vierter und Fünfter zweimal knapp eine Medaille, ebenso bei Olympia 2021 in Tokio, wo 13 Hundertstelsekunden auf Bronze fehlten. Seit 2019 wird der Bad Vöslauer dennoch immer schneller.
Auböck: Weißt du noch Markus, als wir telefoniert haben nach 2019? Ich war vier Sekunden über meiner Bestzeit, hab‘ das WM-Finale verpasst und mich gefragt: Warum schwimme ich überhaupt noch? Dann kam Corona und das war vielleicht das Beste, was meiner Schwimmkarriere passieren konnte. Ich durfte drei Monate nicht Schwimmen und war gezwungen zum Nichtstun. Ich bin in der Zeit draufgekommen, dass ich immer Freude am Schwimmen hatte, aber nie wirklich am Wettkampf. Und heute bin ich so weit, dass ich Wettkämpfe genießen kann. Was seit 2019 passiert ist, ist unglaublich. Ich kenne viele, die mit 21 Jahren aufhören, weil irgendwas nicht läuft. Ich bin glücklich und stolz, dass ich weitermachen konnte. Und ich weiß noch immer, dass ich jede Saison, in der ich ins Wasser gehe, noch besser werde.
Rogan: Mir würde es ja taugen, wenn ich dich noch 2028 bei Olympia hier bei mir in Los Angeles sehen kann.
Auböck: Nach den Spielen in Tokio hat mein Vater gesagt: „Na, super, jetzt machst du doch weiter! Wir schaffen das mit unseren Nerven nicht mehr.“ Man blendet in einem Wettkampf vieles aus. Acht Tage Olympia sind für mich komplett automatisiert, du weißt jede Stunde, was passieren wird. Meine Eltern schlafen aber in dem Zeitraum fast gar nicht oder nur sehr schlecht, weil sie so angespannt sind.
Rogan: Trotzdem verspreche ich dir, du wirst das alles vermissen, wenn du irgendwann aufhörst.
Auböck: Der Gedanke, morgens um 5.30 Uhr aufzustehen, und einmal nicht schwimmen zu gehen, wirkt derzeit eigenartig. Ich mach‘ das so seit zehn Jahren.
Rogan: Musst du ja nicht. Ich bin heute auch um halb sechs aufgestanden und bin Schwimmen gegangen. Zwar nicht sehr schnell, aber immerhin.
Auböck: Wie oft schwimmst du noch?
Rogan: Am meisten spiele ich derzeit Unterwasser-Rugby, so zwei Mal die Woche. Der Sport kommt von den Navy Seals, ist ziemlich verrückt, aber auch geil. Im Sommer bin ich jeden Tag auf irgendeine Weise im Pool mit den Kindern.
Rogan: Wie schaut’s bei dir mit Sponsoren aus, Felix?
Auböck: Ich hab‘ mit dem Start-up „earbreeze“ mittlerweile einen tollen Kopf- oder Hauptsponsor. Darüber bin ich sehr glücklich. Es ist eine langfristige Partnerschaft, die über Olympia 2024 in Paris hinausgeht.
Rogan: Du musst dich mal fragen: Wie viele Europameister in olympischen Sommersportarten gibt es derzeit in Österreich? Mir fallen nicht viele ein. Und du bist sogar Weltmeister. Du siehst das jetzt sehr österreichisch und puristisch. Aber das Leben nach der Sport-Karriere ist viel lustiger, wenn du ein bisschen Geld auf der Seite hast.
Auböck: Im Moment bin ich schon mal froh, dass das Schwimmen mir keine Kosten verursacht. Das empfinde ich schon als beruhigend.
Rogan: Ich kam aus den USA und hab‘ daher auch immer mit einer amerikanischen Einstellung verhandelt. Manche Sponsoren in Österreich wollen dich ködern mit ein paar Aufklebern und drei Brezeln. Ich habe einfach immer verglichen mit den US-Leuten, die mit mir gemeinsam die Uni abgeschlossen haben. Die haben schon ordentlich Kohle bekommen. Felix, ich wünsch dir auch in diesem Punkt ein bisschen Arroganz, damit du bekommst, was du verdienst.
Auböck: Ich weiß nicht, ob ich der Typ dazu bin.
Rogan: Diese Einstellung ist charmant und liebevoll. Aber im Wasser bist du ja auch nicht schüchtern, da erkenne ich schon eine irrsinnige Kraft. Weltmeister werden übrigens nicht viele, die schüchtern sind.
KURIER: Herr Rogan, Herr Auböck, zum Abschluss noch eine Frage: Was ist das für ein Gefühl, zumindest einmal der Beste der Welt zu sein?
Rogan: Ich kann es nur jedem empfehlen. Man erkennt jedenfalls im Nachhinein, wie bescheuert es ist, sich ständig mit anderen zu vergleichen. Dann aber diesen Vergleich gegen alle einmal gewonnen zu haben, ist schon speziell. Es lebt sich danach viel freier.
Auböck: Es klingt wahnsinnig klischeehaft, aber einmal Weltmeister geworden zu sein, diesen Titel zu haben, das nimmt dir nie wieder jemand weg. Egal wie viele vierte Plätze noch kommen mögen.
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