WADA sieht Radsport nahe am Abgrund
Das vermeintliche Dopinggeständnis von Lance Armstrong droht den Radsport endgültig in den Abgrund zu ziehen. Packt der US-Amerikaner aus und nennt Mitwisser auf höchster Funktionärsebene, steht offenbar sogar ein Olympia-Ausschluss der Sportart zur Debatte. Nach Ansicht von IOC-Mitglied Richard Pound könnte die Olympia-Organisation den Radsport aus dem Programm werfen, sollte Armstrong dem Weltverband (UCI) jahrelange Doping-Mitwisserschaft und -Vertuschung nachweisen können.
Medienberichten zufolge erwägt der lebenslang gesperrte und anscheinend geständige Ex-Star, gegen UCI-Funktionäre auszusagen. Nach heftiger Kritik von Anti-Doping-Behörden steht der Verband mit dem umstrittenen Präsidenten Pat McQuaid wieder einmal mit dem Rücken zur Wand.
Am Mittwoch wurde die UCI von der von ihr selbst ins Leben gerufenen Kommission zur Aufarbeitung der Ära Armstrong düpiert. Der Weltverband solle sich nicht länger gegen Vorschläge internationaler Anti-Doping-Agenturen sträuben. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und die US-amerikanische Agentur (USADA) hatten angekündigt, unter den derzeitigen Umständen nicht mit der Kommission zusammenzuarbeiten.
Handschellen
Man habe "ernsthafte Bedenken" bezüglich des Auftrags der Kommission, sagte WADA-Chef John Fahey. Außerdem gebe es Zweifel an der Unabhängigkeit des dreiköpfigen Gremiums. Die USADA bemängelte vor allem, dass möglichen Kronzeugen weder Anonymität noch Schutz vor Vergeltung durch die UCI gewährt werde. Entsprechende Vorschläge hätte die Kommission akzeptiert - aber die UCI stellte sich quer.
USADA-Chef Travis Tygart, der mit seinen Recherchen Armstrong zu Fall gebracht hatte, äußerte die "erhebliche Sorge, dass die UCI ihrer Unabhängigen Kommission die Augen verbindet und Handschellen anlegt, um ein gewünschtes Untersuchungsergebnis sicherzustellen".
Die Luft wird scheinbar dünner für UCI-Boss McQuaid und dessen Vorgänger Hein Verbruggen. Der Niederländer, der Intimus von Armstrong war, dem Weltverband bis 2005 vorstand und immer noch im Hintergrund die Fäden zieht, stellt sich taub und stumm. "Ich verstehe die ganze Aufregung nicht", sagte das Ehrenmitglied der Internationalen Olympischen Komitees (IOC) der Radsportzeitung "De Muur".
staatliches Gericht
Armstrong, der bei der TV-Aufzeichnung von Oprah Winfrey am Montag angeblich Doping gestanden hat - die Sendung wird am Donnerstag und Freitag (jeweils Ortszeit) ausgestrahlt - kämpft verbissen um seinen eigentlich bereits in Trümmern liegenden Ruf und nebenbei auch um viel Geld. Wie der TV-Sender CBS berichtete, habe er den US-Behörden die Rückzahlung von mehr als fünf Millionen Dollar (3,75 Mio. Euro) und seine Kooperation als Zeuge angeboten. Das Justiz-Ministerium habe dieses Offert aber als "unangemessen" ausgeschlagen.
Die Bundesbehörde prüft stattdessen, ob sie sich einem offenbar von Armstrongs Ex-Teamkollegen Floyd Landis initiierten Verfahren anschließt. Dieser hatte einem Medienbericht zufolge Ende 2010 eine Klage eingereicht, in der Armstrong der Missbrauch von Steuergeldern für Dopingzwecke vorgeworfen wurde. Die Postbehörde US Postal hatte das Team des Ex-Profis bis 2004 dem Vernehmen nach mit mehr als 30 Millionen Dollar (22,51 Mio. Euro) gesponsert und will nun Teile davon zurück.
Der deutsche Doping-Jäger Werner Franke misst dem Interview Armstrongs bei Winfrey wenig Bedeutung zu. Viel wichtiger sei es, den langjährigen Dominator der Tour de France vor ein staatliches Gericht zu bringen. "Dort könnte er Dinge gefragt werden, die bis jetzt noch gar nicht bekannt sind. Und das wäre dann noch viel kribbeliger, als wir uns das alle vorstellen können. Bei der Wahrheitsfindung sind die amerikanischen Gerichte nicht zimperlich", sagte Franke der "Welt".
Ex-UCI-Chef weist Vorwürfe zurück
Alle Vorwürfe seien haltlos. "Ich stehe weit über diesem Geschwätz, auch wenn das alles sehr negativ für mich ist." Verbruggen, der von 1991 bis 2005 während der großen Triumphe Armstrongs Chef der UCI war, hatte sich im Dezember vor dem TV-Auftritt Armstrongs den Fragen der Zeitschrift gestellt.
Dem jetzigen UCI-Ehrenvorsitzenden war mehrfach vorgeworfen worden, Armstrong gedeckt zu haben und dafür bezahlt worden zu sein. "Armstrong ist nie, aber auch nie, positiv bei uns getestet worden", betonte Verbruggen. Nach Bestätigung des aktuellen UCI-Chefs Pat McQuaid hatte Armstrong dem Verband 125.000 Dollar (rund 93.800 Euro) "gespendet". Verbruggen sprach in dem Interview von "100.000 Dollar" (rund 75.000 Euro). Das Geld sei "nicht in den Taschen von irgend jemandem" verschwunden.
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