Taktikanalyse im Handball: Wo Ralf Rangnick ein Schüler war

Visualisierung: Teamchef Ales Pajovic zeigt ausgewählte Szenen.
Der Aufwand des Videostudiums bei einer EM ist enorm. So bereiten sich die Österreicher auf ihre Spiele vor.

Wer wissen will, wie stilprägend der Handballsport ist (und immer schon war), der kann bei Ralf Rangnick nachfragen. Der deutsche Fußball-Visionär absolvierte im Rahmen seines Sportstudiums ein Handball-Seminar. Schwerpunkt: Raumdeckung.

Das war Anfang der 1980er-Jahre, als im Fußball der Mittelstürmer noch vom Vorstopper auf Schritt und Tritt verfolgt wurde.

Im Handball hat schon immer das System maßgeblich über Sieg oder Niederlage entschieden, das Kollektiv war meistens wichtiger als der Einzelne. Dementsprechend groß geschrieben wurde und wird die Gegneranalyse. Eine Herausforderung ist die Systemfrage bei einer Endrunde, bei der Spiele im Zwei-Tages-Rhythmus anstehen. Kaum war die Partie gegen Spanien am Samstag vorbei, mussten sich die Österreicher schon mit Deutschland (Montag, 20.30 Uhr/ Live-Spielstand auf KURIER.at) beschäftigen.

„Bei einem Turnier beschäftigt man sich mehr mit dem Gegner als mit sich selbst“, erklärt Erwin Gierlinger, Österreichs Co-Trainer und Videoanalyse-Spezialist.

Gemeinsam mit den weiteren Betreuern sichtet, schneidet und verteilt der Oberösterreicher die Videoclips. Am Handy oder Tablet kann jeder Spieler auf das für ihn zusammengestellte Material zugreifen. „Wir setzen auf Eigenverantwortung, aber sehen schon auch, wer sich die Videos ansieht und wer nicht“, sagt Gierlinger.

Gruppen-Analyse

Pro EM-Spiel sitzt das gesamte Nationalteam in zwei großen Videobesprechungen, der Rest wird in Kleingruppen (Innenblock, Tormänner, etc.) und individuell analysiert. „Vor dem Spiel gegen Nordmazedonien habe ich mir alle Würfe von Linkshändern gegen ihren Tormann angesehen“, erklärt Linkshänder Janko Bozovic. Co-Trainer Gierlinger bestätigt: „Wenn du abspringst und nachdenken musst, wo du hinwerfen willst, ist es meist zu spät. Um die Abläufe verinnerlicht zu haben, musst du die Abwehrmuster der Torleute oft gesehen haben.“

Den größten Aufwand betreiben Torleute. Bei ihnen passiert am meisten intuitiv. 70 Prozent der Paraden verdanke er dem Videostudium, meint Thomas Bauer.

Nicht nur bei der Gegneranalyse hilft die Technik. Zwei Mal am Tag, in der Früh und am Abend, bekommen die Spieler Fragebögen zugeschickt. Wie gut und lange haben sie geschlafen? Wie intensiv war für sie das Training? „In der Trainingssteuerung sind für uns nicht nur medizinische Daten wertvoll, sondern auch die Selbsteinschätzungen“, sagt Gierlinger.Philipp Albrechtsberger

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