In der Fanzone der Erste Bank Open in der Wiener Stadthalle wird großes Tennis geboten. Ohne Schläger, ohne Bälle, dafür aber mit klobiger Virtual-Reality-Brille am Kopf und mit kleinem Plastikstab in der Hand. Ein Mädchen im Volksschulalter hetzt gerade ihren Vater über den virtuellen Tennisplatz.
Von den sehr realen Verrenkungen, die zur selben Zeit Titelverteidiger Daniil Medwedew nur wenige Meter entfernt auf den Centre Court hinlegen muss, um ins Viertelfinale einzuziehen, bekommen die beiden wenig mit.
➤ Mehr lesen: Medwedew und Rublew ziehen ins Viertelfinale ein
Die Erste Bank Open bieten den Besuchern einiges. An jeder Ecke gibt es Mitmach-Stationen, Verpflegungsstände und Shops von Sportartikelherstellern. Überall leuchtet und dröhnt es.
Die ruhigsten Momente erlebt man hier ausgerechnet auf den voll besetzten Tribünen des Centre Courts, das Beiwohnen eines Drei-Satz-Krimis wie jenem von Medwedew gleicht fast einer Meditationseinheit. Dominic Thiem sieht diese Entwicklung durchaus kritisch, wie er dem KURIER im Vorfeld des Turniers erzählte:
„Es gibt auf der Tour kaum noch eine Partie, die kürzer als zwei Stunden dauert. Das ist natürlich ein Problem für die junge Generation an Fans.“
Es ist Freitag vergangene Woche, drei Tage sind es noch bis zum Hauptbewerb der Erste Bank Open, und der Niederösterreicher ist Teilnehmer an einem Schauwettkampf mit Andrej Rublew, Alexander Zverev und anderen Stars der Szene.
Die Matches hier dauern kürzer, zwischen den Ballwechseln legt ein DJ auf. Nach etwas mehr als zwei Stunden ist das Mini-Turnier auf dem Tennisplatz in der Innenstadt auch schon wieder zu Ende.
Sieht so die Zukunft des Tennissports aus? Ja, glaubt zumindest Patrick Mouratoglou. Der Franzose ist einer der bekanntesten Tennistrainer der Welt, er coachte viele Jahre Serena Williams von Erfolg zu Erfolg. Im ersten Jahr der Pandemie hat er in seiner Akademie nahe Nizza ein neues Tennis-Format entwickelt, das heuer bereits Station macht(e) in Los Angeles, Frankfurt, Seoul, London.
So könnte die Zukunft des Tennis aussehen
Der „Ultimate Tennis Showdown“ (UTS) soll nicht weniger als Tennis revolutionieren, vor allem aber soll er die Jugend ansprechen. „Tennis zu verändern, ist sehr schwierig. Einfach weil die Fans sehr konservativ sind“, sagte er zuletzt der FAZ, „ich liebe Tennis ja auch so, wie es ist. Wegen mir müssten wir es nicht reformieren.“ Doch laut aktuellen Untersuchungen, so Mouratoglou, ist der durchschnittliche Tennisfan 61 Jahre alt.
Bei UTS besteht ein Match aus vier Vierteln zu je acht Minuten. Jener Spieler, der drei Viertel gewinnt, ist der Sieger. Aufschlag gibt es nur einen, zwischen zwei Punkten bleiben maximal 15 Sekunden Zeit. Jeder Spieler verfügt über eine Bonuskarte; setzt er diese ein, gibt es für den folgenden Ballwechsel drei Punkte. Die teilnehmenden Spieler tragen Kampfnamen, ähnlich wie im Boxen. Taylor Fritz ist "The Hotshot", der Norweger Casper Ruud "The Iceman". Zwischen den Vierteln werden die Profis mit Mikrofonen verkabelt und für die Zuseher befragt.
Weltranglistenpunkte werden bei UTS keine vergeben, dafür jede Menge Dollar ausbezahlt. „Die Spieler kommen, wenn du sie gut bezahlst. Der Modus ist ihnen relativ egal“, gibt Andrej Rublew im KURIER-Gespräch zu. Großer Anhänger der neuen Formate ist der Russe nicht: „Tennis mit nur einem Aufschlag ist ein ganz anderes Spiel, und nicht unbedingt das, was mir gefällt.“
Mouratoglou sieht UTS nicht als Konkurrenz-, sondern als Zusatzangebot für Spieler und Fans. Um den Anschluss nicht zu verpassen, experimentieren die großen Touren (ATP der Männer, WTA der Frauen) selbst mit neuen und innovativen Formaten wie Teamwettkämpfen. Der Verdrängungswettbewerb im Tennis scheint sich nicht nur auf die Weltrangliste zu beschränken, sondern auch auf die Turniere und Veranstalter. Mouratoglou ist derweil von seiner Zukunft überzeugt: „Tennis muss sein wie ein Videospiel.“
Kommentare