Alexander Zverev: Ich habe es kein bisschen genießen können, weil sobald ich Nummer zwei der Welt war, brauchte ich einen Sieg, um Nummer eins zu werden. Innerhalb von drei Monaten hätte ich nur ein Match gewinnen müssen. Stellen Sie sich das vor! Aber ich lag stattdessen mit Gips im Bett oder im Krankenhaus. Das war alles andere als ein Genuss. Ich war eigentlich ganz oben und lediglich ein Match davon entfernt, Nummer eins zu werden. Davon träumen Millionen. Natürlich möchte ich wieder dorthin zurück.
Wie viel fehlt dafür im Moment noch?
Ich finde, dass ich schon relativ ordentlich spiele. Ich finde auch, wenn ich im ersten Jahr nach so einer Verletzung bei den ATP Finals dabei sein könnte, wenn ich einer der besten acht Spieler der Saison bin, dann ist es ein unglaubliches Comebackjahr.
Sie haben 2020 in New York das bisher einzige Grand-Slam-Finale ihrer Karriere gegen Dominic Thiem verloren. Wie sehr hat sich Tennis seither verändert?
Ich glaube, es gibt etwas mehr Möglichkeiten an der Spitze. Es gab eine Zeit, in der Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal sehr dominiert haben. Ich glaube aber auch, dass es danach, zum Beispiel 2020 und 2021, eine Phase gab, in der Dominic, Daniil Medwedew, Novak und ich viel gewonnen haben und nah beieinander gewesen sind. Dann kamen bei allen die Verletzungen und Tennis hat sich geöffnet. Es gab viele Chancen für andere Spieler.
Wie lange denken Sie an eine Niederlage nach einem großen, wichtigen Spiel?
Es kommt darauf an, wie das Match verlaufen ist. Habe ich Chancen liegen gelassen? Dann suche ich natürlich nach einzelnen verpassten Möglichkeiten. Aber ich habe oft gesagt, dass man im Tennis ein Kurzzeitgedächtnis haben muss. So wie jetzt zum Beispiel: Es spielt keine Rolle, ob du am Donnerstag in Tokio das Spiel deines Lebens gespielt oder versagt hast. Am Montag stehst du in Wien auf dem Center Court. Bei 0:0.
Gutes Stichwort: In Tokio haben Sie vor einer Woche bei einem PR-Termin Sushi zubereitet, hier in Wien werden Sie Tafelspitz kochen und waren Teilnehmer beim Showturnier eines Sponsors. Wie oft sagen Sie Nein zu solchen Terminen?
Darf man Nein sagen? Ich glaube nicht. Natürlich würde ich mich noch lieber noch mehr auf Tennis konzentrieren. Das würden wir, glaube ich, alle. Wir würden auch alle mehr Urlaub wollen. Aber all das ist eben Teil unseres Jobs.
Im Vorjahr haben Sie auch Ihre Diabetes-Erkrankung öffentlich gemacht. Gab es dafür einen Auslöser?
Ich habe mich in meinen jüngeren Jahren nicht wohlgefühlt mit der Krankheit. Ich war sehr schüchtern. Ich hätte gerne ein Vorbild gehabt. Und dieses Vorbild will nun ich sein. Vielleicht kann man es auch als etwas Normales sehen, Diabetiker zu sein.
War es für Sie als Spitzensportler schwierig, sich einzugestehen, dass man körperlich eine Schwäche hat?
Natürlich möchte man lieber kein Diabetes haben. Aber ich habe es, seit ich vier Jahre alt bin. Ich kenne kein Leben ohne Diabetes. Für mich ist es einfach eine Sache, auf die ich achten muss. Ich will dafür stehen, dass man mit Diabetes alles erreichen und ein normales Leben führen kann.
Diese Offenheit haben Sie auch gezeigt, als Sie vor einiger Zeit massive Probleme mit Ihrem Aufschlag hatten – eigentlich eine Waffe in Ihrem Spiel. Wie kamen Sie da wieder heraus?
Das ist ein Thema, mit dem ich mich seit sehr langem schon nicht mehr beschäftigt habe. Natürlich hilft Training, aber nicht nur. Ich hatte damals eine turbulente Zeit abseits des Tennisplatzes, ich hatte viel Stress in meinem Leben. Und es heißt ja, der zweite Aufschlag ist ein bisschen der Blick in die Seele eines Tennisspielers. Aber ich muss gestehen, es ist eine Sache, mit der ich mich gerade nicht beschäftigen möchte. Weil wenn man wieder beginnt, zu viel darüber nachzudenken, kann es sein, dass es wieder anfängt.
Entscheidet in der absoluten Weltspitze wirklich vor allem das Mentale über Sieg oder Niederlage?
Alle, die zu den Top 5 der Welt gehören, müssen mental außergewöhnlich stark sein. Der Kopf entscheidet viel, aber nicht alles. Es gibt Wochen, in denen man einfach das Gefühl hat, alles passiert in Zeitlupe. Du nimmst den Ball größer wahr, hast mehr Zeit für jeden Schlag. Ein Gefühl, wo ich schon beim Einschlagen weiß: Heute wird es schwierig für meinen Gegner.
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