Daniil Medwedew darf in Paris nicht in seiner Muttersprache parlieren, zumindest nicht in den Interviewräumen. Im Normalfall werden dort Fragen auf Englisch und in der Heimatsprache gestellt.
Russlands bester Tennisspieler, die Nummer zwei der Welt erhielt nicht Fragen auf Russisch, sondern Französisch, was jetzt nicht zwingend ein Problem sein muss, weil er seit Jahren in Monte Carlo lebt. Und obwohl russische Journalisten zugelassen sind in Roland Garros, eine Handvoll ist auch hier.
Freilich ist er als Russe immer Thema seit diesen Februar-Tagen. Doch er ist nur ein Beispiel für viele Landsleute, die wie die Belarussen in Wimbledon (ab 27. Juni) ausgeschlossen wurden. „Fast alle leben seit Jahren nicht mehr in Russland, man sollte sie spielen lassen. Ich kenne fast alle, und da ist kein Putin-Sympathisant dabei“, sagt Philipp Oswald, Österreichs bester Doppelspieler.
Wimbledon stellt also den Russen und Belarussen ein Stoppschild auf. Nachdem längst festgestanden war, dass man auf dem heiligen Rasen russische und belarussische Spieler ausschließt, reagierten die Spielervereinigungen ATP und WTA und strichen dort die Weltranglisten-Punkte.
„Natürlich fühlen wir uns jetzt hintergangen nach diesem Alleingang“, sagt der Steirer Herwig Straka, seit Jahren in der Spitze der ATP. Damals hatte er die Möglichkeit in Betracht gezogen, Wimbledon ohne Punkte spielen zu lassen. „Es ist eines unserer Prinzipien, dass jeder das Recht haben soll, teilzunehmen, um Punkte zu machen. Wir wollen auf keinen Fall, dass dieses Beispiel Schule macht“, betont Straka.
Sogar im Vorteil?
Medwedew akzeptiert diese Entscheidungen, die ihm sogar irgendwie weiterhelfen. Er hat einen Riesenvorteil gegenüber Novak Djokovic im Rennen um die Nummer eins, weil dem serbischen Titelverteidiger die Vorjahrespunkte aus der Wertung fallen.
Den Ausschluss nimmt Medwedew hin, wie auch die Tatsache, dass es keine Punkte gibt. „Nur die Entscheidung der ATP und der WTA ist ordentlich begründet, das hat man in Wimbledon nicht getan“, sagte der 26-Jährige nach seinem Auftaktsieg in Paris über den Argentinier Bagnis.
Schärfer in der Kritik ist Medwedews Landsmann Andrej Rublew. „Wimbledon hat die Abmachungen gebrochen. Das geht nicht. Spieler brauchen die Turniere und die Turniere brauchen die Spieler“, sagt der Siebente der Weltrangliste.
Medwedew hingegen wird auch von Thomas Hammerl, Geschäftsführer des europäischen Verbandes, bestätigt. „Es wurden viele Calls mit den Spielern getätigt, dann erst über die Punktestreichung entschieden.“
Hammerl selbst traf vor Kurzem in Athen hochrangige russische Spitzenfunktionäre im Tennis. „Sie sagen alle, dass der russische Sport, speziell auch der Tennissport, durch die Maßnahmen um 20 Jahre zurückgeworfen wird.“ Wann diese wieder aufgehoben werden? „Das wird lange dauern“, glaubt Hammerl. „In der Generalversammlung, in der es 210 stimmberechtigte Länder gibt, erfordert es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, um solche Entscheidungen zu treffen.“ Verbote können schnell getroffen werden, mit der Aufhebung kann es aber dauern.
Die Ukrainer hingegen leben mit der Entscheidung in Wimbledon. Lesia Zurenko hat am Montag nach ihrer 2:6-0:6-Auftaktniederlage bei den French Open in Paris gegen die polnische Turnierfavoritin Iga Swiatek zu mehr Unterstützung aus der Tenniswelt für ihr Land aufgerufen.
Als Folge der russischen Invasion in ihrer Heimat gab sie auch an, möglichst nicht gegen Russinnen oder Belarussinnen auf der Tour spielen zu wollen. Die Qualifikantin dankte Swiatek, dass diese bei ihrer Partie einen Ukraine-Sticker getragen habe.
Zurenko meint, dass mehr Tennis-Profis über die Causa reden müssten. „Ich hasse es, was die russische Propaganda über die Ukraine im Allgemeinen sagt. Ich hasse es wirklich“, ließ die 32-Jährige wissen. „Ich habe eine ziemliche Wut, weil es einen Haufen Lügen über mein Land gibt, und das schmerzt mich sehr. Ich hätte von den Spielern und Spielerinnen, der WTA und der ATP gerne, dass mehr unterstützt und gezeigt wird, was da wirklich läuft.“
Kritik an Nadal
Der Krieg spaltet prinzipiell, den Tennissport aber noch nicht gravierend. Obwohl es Profis wie den Ukrainer Serhij Stachowskyj gibt, der sogar für sein Land kämpft und deshalb im Moment auch nicht spielt. Zuletzt kritisierte er Rafael Nadal, der den Wimbledon-Ausschluss für russische und belarussische Athleten als „unfair“ bezeichnet hatte.
Stachowskyj antwortete prompt: „Bitte sage mir, wie fair ist es, dass ukrainische Spieler nicht in ihre Heimat zurückkehren können? Wie fair ist es, dass ukrainische Kinder kein Tennis spielen können? Wie fair ist es, dass Ukrainer sterben?“
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