Nach dem Thiem-Absturz: Ist Österreich noch ein Tennis-Land?
Der 9. Mai 2022 ist ein historischer Tag, den sich Österreichs Tennissport gerne erspart hätte. Kein Herr, keine Dame in den Top 100. Nachdem Dominic Thiem aus diesem erlesenen Kreis fiel, erlebt das erfolgsverwöhnte Land eine Situation, die es beinahe seit 40 Jahren nicht mehr gegeben hat. Und vor allem wirft genannte Situation die Frage auf: Sind wir noch eine Tennis-Nation?
Minus: Die Profi-Rankings
Kein Österreicher in den Top 100, das gab es zuletzt in der Zeit vor Thomas Muster. Vor dem Steirer war auch Petra Huber ab 1983 ständig zweistellig, einige Jahre vor ihr Peter Feigl oder Hans Kary. Ein Drama? „Wir hatten eben mit Thiem ein Aushängeschild. Wenn dieses wegbricht, steht man eben so da“, sagt Jürgen Melzer, ehemaliger Top-Ten-Spieler und Sportchef beim Tennisverband.
Ex-Profi Alexander Antonitsch denkt positiv. „Natürlich sind wir eine Tennis-Nation. Vor eineinhalb Jahren haben wir mit Thiem noch stolz über die Triumphe gejubelt und groß propagiert ’Wir sind Tennis’ und jetzt sollen wir alles in Frage stellen?“
Plus: Die Besten
Seit Montag ist Jurij Rodionov Österreichs Nummer eins. Als Nummer 130 der Welt. Positiv ist, dass der ehemalige Junioren-Weltklassespieler noch eine ganze Tennis-Zukunft vor sich hat, er wird am 16. Mai erst 23. Sein Ziel, in diesem Jahr „professioneller zu arbeiten“ lässt vermuten, dass er sogar noch Zeit verschlampt hat. Sein jüngster Titel beim gut besetzten Challenger in Mauthausen beweist, dass er großes Potenzial hat.
Bei den Damen ist Julia Grabher die Nummer eins. Die Vorarlbergerin, Nummer 152 der Welt, ist auf dem aufsteigenden Ast, seit sie mit Günter Bresnik trainiert. „Sie hat auf jeden Fall Potenzial, in die Top 100 zu kommen“, sagt der Top-Trainer.
Für Alexander Antonitsch stellt sich die Frage nicht, wer im aktuellen Ranking gerade Österreichs Bester ist. „Unsere Nummer eins ist Dominic Thiem. Er hatte eine für Tennisspieler sehr heikle Verletzung, er kommt zurück.“
Minus: Der Jugendsektor
Im Nachwuchs gibt es nur bedingt Positives. „Bei den Tennis-Europe-Jugendturnieren tauchen selten Österreicher auf und wenn, sind die schon bald wieder daheim“, sagt Thomas Hammerl, als Geschäftsführer des Europäischen Tennisverbandes selbst häufig bei Turnieren unterwegs. Die Arbeit würde aber nicht beim Verband liegen. „Die Tschechen sind seit Jahren Weltklasse und auch in der Jugend weit vor uns. Weil in den Tennisklubs besser gearbeitet wird, weil dort die Jugend forciert wird.“
Und doch gibt es auch bei uns Hoffnungen. „Lilli Tagger bringt von den Schlägen her alles mit“, nennt Melzer die 14-Jährige als Beispiel. Weitere Hoffnungen tragen die Namen Sebastian Sorger, Anna Pircher, Nico Hipfl oder Tamara Kostic. Was verbessert werden muss, sind die Kooperationen Schule/Tennis, „auch die Hallensituation ist vielleicht nicht die beste“, sagt Antonitsch.
Plus: Der Verband
Dieser steht wieder auf gesünderen Beinen. „Wir stehen finanziell seit zwei Jahren top da“, sagt ÖTV-Geschäftsführer Thomas Schweda. Seit Jürgen Melzer im Vorjahr das Amt des Sportdirektors übernahm, wird auch sportlich an allen Schrauben gedreht.
Ein primäres Vorhaben wurde auch gemeinsam mit dem ehemaligen ÖTV-Präsidenten Magnus Brunner und dessen Nachfolger Martin Ohneberg bereits umgesetzt. Mittlerweile gibt es 19 ITF-Turniere und drei Challenger in Österreich.
Melzer: „Wir brauchen diese Turniere, um den jungen Österreichern eine Plattform zu geben.“ Rodionov nutzte diese Chance in Mauthausen. „Dafür gibt es dieses Turnier, besser kann eine Woche nicht laufen“, sagt auch Turnierboss Florian Leitgeb. Er ist auch federführend beim Challenger in Tulln, das dritte Event dieser Kategorie gibt es ebenfalls seit 2021 in Anif.
Plus: Die Begeisterung
„Wir haben seit 2016 die Mitgliederzahl von 170.000 auf 190.000 erhöht, das hielt auch in der harten Corona-Zeit“, sagt Schweda. Auch sonst gibt es viele Aktivitäten. Wie beispielsweise die traditionelle Spring Bowl, eines der größten Jugendturniere in Europa, das jährlich von Raimund Stefanits veranstaltet wird und derzeit erstmals in St. Pölten läuft.
Letzter österreichischer Sieger war 2017 pikanterweise Rodionov. Hobbyspieler können sich bei der Turnierserie Generali Race anmelden (www.generaliopen.com). Die Sieger werden Ende Juli im Rahmen des Kitzbüheler Turniers gekürt.
Plus: Die Turnierbosse
Dass Österreich ein Tennisland ist, beweist das Know-how der Veranstalter. Edwin Weindorfer zeichnet verantwortlich für die Herren-Turniere auf Mallorca und in Stuttgart sowie das Damenturnier in Berlin, Sandra und Peter-Michael Reichel für das gleichzeitige Herren- und Damenturnier in Hamburg. Die Reichels sorgen in Linz für Weltklassetennis bei den Damen, Herwig Straka beim ATP-Event in Wien, Antonitsch machte Kitzbühel zu einem bei den Spielern beliebten Sandplatz-Erlebnis.
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