"Tagebuch": Zwei Frauen waren der Ski-Revolution voraus

Nicola Spieß-Werdenigg
Die für Träumereien bekannte Idealistin ließ in Deutschland in Eigenregie Ski erzeugen. Ihr Mut zum finanziellen Risiko blieb unbelohnt.

Selbst fortschrittliche Ski-Trainer irrten, selbst die erfahrensten Pisten-Machos mussten klein beigeben. Vor genau 20 Jahren erfolgte im Rennlauf eine Materialrevolution, von der auch unzählige Freizeit-Brettlrutscher profitieren sollten, die sich davor mit um einen halben Meter längeren Latten abgemüht hatten. Zwei Frauen waren dem Trend voraus gewesen.

Als bei der WM 1999 in Colorado die Französin Florence Masnada Kombi-Bronze dank einer sensationellen Slalom-Fahrt mit Kurzskiern errang, ging die Leistung hierzulande unter. Zumal es das WM-Gold von Renate Götschl, Alexandra Meissnitzer und Hermann Maier zu zelebrieren galt.

Als Skireporter zehn Monate später, diesmal anlässlich des Weltcups in Colorado, fragten, ob Masnadas Kurzski-Show vielleicht doch mehr als nur Eintagsfliege gewesen war, bekamen wir zu hören: „Vergesst das.“ Siege auf Kurzskiern werden – wenn überhaupt – maximal bei Damenrennen und auf flachen Slalomhängen möglich sein. Doch was passierte?

Der Norweger Finn Christian Jagge trumpfte bald darauf in Madonna di Campiglio dank 1,76-Meter-Stump’n auf. Noch dazu auf einem Hang, der (wie TV-Skifans Mittwoch sehen können) zu den steilsten im Weltcup überhaupt zählt. Oh Madonna. Und als der bärtige italienische Hüttenwirt Angelo Weiss am 9. 1. 2000 in Chamonix mit 1,70ern siegte, schrillten bei der Konkurrenz endgültig die Alarmglocken. Rainer Schönfelder und Co. besorgten sich Kaufhausski und stellten nach geheimen Tests fest: Über kurz oder lang werde sich die ganze Weltelite auf Kurzski umstellen. Ungeachtet dessen erhielt Kombi-Olympiasieger Mario Reiter vom heutigen ÖSV-Sportdirektor Toni Giger Minuten nach einer ORF-Sendung einen telefonischen Rüffel, weil Reiter als TV-Analytiker gemeint hatte, dass „wir Österreicher die Entwicklung vielleicht etwas verschlafen haben“. Korrekterweise sei hinzugefügt, dass der g’lernte Mathematikprofessor Giger hinsichtlich Forschung und Entwicklung als der alpine Fachmann schlechthin galt und gilt.

Letztlich hatten auch Ski-Fabrikanten geirrt. Bei einigen war schon in den ersten 90er-Jahren Nicola Werdenigg-Spieß vorstellig geworden mit dem Rat, man möge doch den Bau ungleich kürzerer taillierter Skier forcieren. Die Tiroler Olympia-Abfahrtsvierte (1976) hatte vielversprechende Carving-Versuche unternommen. Bei der Industrie blitzte sie ab. Die für Träumereien bekannte Idealistin ließ daraufhin in Deutschland in Eigenregie Ski erzeugen. Ihr Mut zum finanziellen Risiko blieb unbelohnt.

Ungleich mehr Aufmerksamkeit (und nicht nur Freunde) bekam Werdenigg, als sie vor zwei Jahren die Me-Too-Debatte auf den Skisport ausdehnte und öffentlich machte, dass sie als junge Rennläuferin selbst Missbrauchsopfer gewesen sei.

Heute lebt die Tirolerin als verwitwete dreifache Mutter in einer kleinen Wohnung in Wien. Und heute gelten 1,65er-Skier, wie sie auch Marcel Hirscher anschnallte, im Herren-Slalom-Weltcup als üblich.

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