Nein. Die von mir betreuten Spitzensportler haben den Umgang mit der Pandemie mittlerweile verinnerlicht. Sie wissen auch, was es bedeutet, zu erkranken und eventuell länger auszufallen. Mich hat vor einigen Tagen auch das Virus erwischt. Glücklicherweise ohne ärgere Symptome. Aber Gliederschmerzen machen wir schon zu schaffen. Ich habe mir Ruhe verordnet. Und diese Zeit freiwilliger Passive genutzt, um mir die Münchner Europameisterschaften auf dem Bildschirm anzusehen. Es war ein beeindruckendes Sportfest.
Ist der Leistungsplafond in Elementarsportarten wie Leichtathletik schon erreicht? Oder gibt es noch viele Weltrekorde mit erlaubten Mitteln?
Die Erkenntnisse nehmen stetig zu, führen zu Verbesserungen in Trainingsmethodik, Biomechanik, Technik und Athletik. Darüber hinaus gibt es immer wieder besondere Talente. Man muss aufpassen, dass man nicht jedem gleich Doping unterstellt, andererseits soll man große Leistungssprünge kritisch hinterfragen.
Seit zig Jahren heißt es speziell in Wien, dass Österreichs Fußballer zu wenig rennen.
Ich finde, da macht sich Österreich zu schlecht! Ich kenne aktuell zwar keine genauen Daten, aber die Laufdaten des Nationalteams werden nicht schlechter sein als bei anderen Nationen. Gefühlt ist die Geschwindigkeit in Österreich allerdings etwas geringer als in den großen Ligen, da die Spieler dort technisch etwas besser und somit Ballverarbeitung und Spiel schneller sind. Da der Fußball insgesamt schneller und durch die Zunahme an Sprints intensiver und folglich auch die körperliche Belastung höher geworden ist, muss man aufpassen, dass die Hinzunahme weiterer Wettbewerbe wie der Nations League oder gar einer WM alle zwei Jahre nicht zu einer Überlastung führt – körperlich wie mental. Sowohl Körper als auch Geist brauchen Erholungsphasen. Sonst drohen Verletzungen. Je nachdem wie der Kader besetzt ist, können Klubs durch Rotation der Spieler dem entgegenwirken.
Wo orten Sie im Fußball noch Steigerungspotenzial?
Steigerungspotenzial sehe ich in der individuellen Belastungs- und Erholungssteuerung. Allerdings ist dies kosten- und personalintensiv. Sport wird dadurch immer wissenschaftlicher. Aber man soll keine Kaffeesatzleserei betreiben, sondern die Datenmenge stets im Gesamtkontext interpretieren. Darüber hinaus denke ich, dass sich Spieler und Spielerinnen im technischen und taktischen Bereich noch weiter verbessern werden, da viele Trainer und Spielanalysten moderne Methoden mit toller Arbeit in den Alltag integrieren.
Leistungsdiagnostiker, wie an ihrem Institut Dritan Baholli, kritisieren das österreichische Niveau und orten Stillstand verglichen mit der Trainingssteuerung in ähnlich kleinen Ländern wie Dänemark oder der Schweiz. Auch Kollegen von ihm sehen schwarz. Teilen Sie den Pessimismus?
Nein. Im Fußball hängt der Erfolg auch von anderen Dingen ab. Man kann nicht alles aus leistungsdiagnostischen Daten herauslesen. Dafür ist der Fußball zu komplex. Natürlich benötigen Spieler eine gute Grundlagenausdauer, Schnelligkeit und Physis, um während eines Spiels, über ein Turnier und über eine Saison mithalten zu können. Aber Teamgeist, taktisches Verständnis und Spieldisziplin gepaart mit individuellen Fähigkeiten spielen auch eine wichtige Rolle. Aus all diesen Mosaiksteinchen muss der Trainer mit seinem Trainerteam die beste Mannschaft zusammensetzen. Von außen betrachtet habe ich den Eindruck, der ÖFB ist auf einem guten Weg.
Österreichern wird im Sport ein gewisser Schlendrian plus gleichzeitig zu viel Bürokratie nachgesagt. Haben Sie diesbezüglich hierzulande als Deutscher ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ich würde nicht sagen Schlendrian, denn die handelnden Personen in der Sportpolitik, den Verbänden und Vereinen, die ich bisher kennenlernte, sind alle Experten und mit viel Herzblut bei der Sache. Was ich jedoch als ungünstig empfand, sind die häufigen politischen Machtwechsel, da dadurch wiederholt ein Vakuum entstanden ist, in dem für eine gewisse Dauer manches stillstand und man nicht genau wusste, wie es weitergeht. Österreich täte es gut, wenn es ein zentrales sportwissenschaftliches Förderinstrument gäbe wie das Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Deutschland. Damit könnten sportwissenschaftliche und sportmedizinische Studien- und Betreuungsprojekte gezielt nach Bedarf ausgeschrieben und durch unabhängige Gutachter gefördert werden.
Hat es Sie als Arzt von U-21-Europameister Deutschland und Kenner der deutschen Fußballszene überrascht, dass Miroslav Klose sein Klubtrainer-Debüt beim österreichischen Tabellen-Nachzügler Altach gibt?
Miroslav Klose kenne ich nicht persönlich, wenngleich wir uns bei Untersuchungen und Testungen des Nationalkaders wahrscheinlich schon über den Weg gelaufen sein dürften. Über seine Verpflichtung bei Altach habe ich mich gefreut, da es seine erste Station als Cheftrainer ist. Der Verein und Klose scheinen gut zueinander zu passen. Ich hoffe, dass er dort mit der notwendigen Geduld und Ruhe etwas aufbauen kann.
Ralf Rangnick ist seit 1.Juni Österreichs Teamchef. Kam es bereits zu einem Kontakt mit Ihrem Landsmann?
Auch Ralf Rangnick kenne ich nicht persönlich. Er hat durch seine frühere Tätigkeit bei Red Bull sicherlich ein ausgezeichnetes Netzwerk an Experten in Österreich.
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