Ein Klub in Geiselhaft: Wie Manchester United aus der Bahn geriet
Der einst größte Klub der Welt nähert sich vor dem Derby gegen Liverpool der Bedeutungslosigkeit. Die US-Eigentümer bereichern sich, die Fans steigen auf die Barrikaden
Es ist das Highlight der Fußball-Woche und dennoch kein Spitzenspiel. Wenn Manchester United am Montag (21 Uhr, live Sky) den FC Liverpool zum Nordwest-Derby begrüßt, werden die Nerven blank liegen. Nicht etwa, weil es der größte Rivale ist, der da nach Old Trafford kommt. Es ist der Feind im eigenen Bett, den die Fans von United ausgemacht haben.
Der größte Ärger im Umfeld der Red Devils richtet sich gegen die eigenen Bosse, die aus Sicht des Anhangs das Schlamassel angerichtet haben. Kein Meistertitel seit 2013 ist das eine. Triumphe der Stadt-, und Erzrivalen ManCity und Liverpool sind das andere. Der letzte Tabellenplatz nach peinlichen Niederlagen gegen Brighton und Brentford bedeutet jedoch eine neue Dimension an Demütigungen, die der Anhang von United über sich ergehen lassen muss.
Rückblick. Es ist das Jahr 2003, als Unternehmer Malcolm Glazer neben dem Eierlaberl auch das runde Leder als Business entdeckt. Dem US-Amerikaner gehört bereits das NFL-Team der Tampa Bay Buccaneers, ehe er beschließt, Aktien von Manchester United zu kaufen. Für neun Millionen Pfund ersteht er zunächst 2,9 Prozent des Klubs. Glazer hat Lust auf mehr. Zwei Jahre später sind es 98 Prozent von United, die dem Tycoon gehören.
Menschen mit einem vollen Geldbeutel sind bei Fußballklubs willkommen, sollte man meinen. Malcolm Glazer ist es nicht. Der Amerikaner wird unliebsam vor dem Stadion empfangen. Feuerwerksraketen fliegen, es gibt Festnahmen. 300 Anhänger protestieren. Hätte man gewusst, in welche Richtung sich der Klub entwickelt – es wären weit mehr gewesen.
Nichts als Zinsen
Es dauert nicht lange, da wird klar, dass der neue Eigentümer den Klub eher Geld kostet, als er bringt. Denn Glazer verwendet kein Eigenkapital, um United zu kaufen. Der größte Teil des Geldes kommt in Form von Darlehen, von denen die meisten gegen das Vermögen des Vereins versichert sind. Sie werden von New Yorker Hedgefonds bereitgestellt und verursachen 60 Millionen Pfund an Zinsen – pro Jahr. Erstmals seit 1931 ist Manchester United im Jahr 2006 verschuldet. Gezahlt werden die Zinsen nicht von Glazer, sondern vom Verein. Oder besser gesagt: dessen Fans. Denn nicht nur die Ticketpreise steigen.
Malcolm Glazer verstirbt im Jahr 2014. Doch sein Imperium hat längst die Kontrolle übernommen. Sechs Familienmitglieder sitzen heute im Vorstand des Klubs. Die Söhne Joel und Avram sind federführend. Gerne verweist man auf die steigenden Umsätze. Unter den Glazers verdreifachen sich die Einnahmen des Klubs nahezu – von 173 auf 494 Millionen Pfund im Jahr 2021. Verschwiegen wird gerne, was parallel dazu der Konkurrenz gelingt. City (570 Mio.) überholt United, Liverpool (487 Mio.) schließt auf.
Wer wissen will, was das Konstrukt der Glazers den einst reichsten Klub der Welt kostet, braucht einen guten Überblick. Ein Auszug: An Zinsen für die Übernahme hat man bis heute mehr als eine Milliarde gezahlt, 517 Millionen alleine in den letzten zwölf Jahren und damit fast so viel, wie der Rest der Premier League (536) zusammen.
Während bei Manchester City die Eigentümer aus den Vereinigten Arabischen Emiraten seit 2009 knapp 700 Millionen Pfund in ihren Klub gesteckt haben, greift die Familie Glazer noch zu: United ist der einzige Klub der Premier League, der seinen Aktionären Dividenden auszahlt. Und zwar nicht weniger als 166 Millionen Pfund seit 2016.
Ein Banker als Sportchef
Ein Vermögen kostet auch die sportliche Orientierungslosigkeit. Seit dem Rücktritt von Sir Alex Ferguson im Jahr 2013 ist der Investment-Banker Ed Woodward, der Glazer bei der Übernahme beraten hat, sportlich verantwortlich. 1,2 Milliarden hat man seither für Neuzugänge ausgegeben und dabei selten Volltreffer gelandet.Während Liverpool und ManCity seit 2015, bzw. 2016 den klaren Ideen von Jürgen Klopp und Pep Guardiola Folge leisten, wechselt United im selben Zeitraum fünf Mal den Trainer und die Strategie. Nach dem Pressing-Propheten Ralf Rangnick darf sich der Niederländer Erik ten Hag mit Ballbesitz-Fußball versuchen. Während Liverpool und City mit Darwin Núñez (23) und Erling Haaland (22) entwicklungsfähige Jungstars an Land ziehen, holt United den 30-jährigen Casemiro von Real Madrid und stattet ihn mit einem Rentnervertrag aus, der ihm das Doppelte seines bisherigen Gehalts garantieren soll.
Im Geldregen der UEFA streiften die Teams von Klopp und Guardiola seit 2017 um 150 Millionen Euro mehr an Prämien ein, als United. Eine Lücke, die im Verlierer-Bewerb Europa League in dieser Saison noch wachsen wird.
Um überhaupt wieder in die Nähe eines Europacup-Platzes zu gelangen, braucht es Punkte. Allerdings: In der Liga hat man seit 2018 nicht mehr gegen Liverpool gewonnen. Ein Sieg gegen den Rivalen könnte die Wogen nur minimal glätten im Vergleich zu einem neuen Eigentümer. Jim Ratcliffe, Besitzer des Chemiekonzerns Ineos und mit 16 Milliarden Dollar Vermögen der reichste Brite, hat angeboten, zu investieren, sofern er auf Sicht die volle Kontrolle über United erhält. Allein: Die Familie Glazer muss noch überzeugt werden, denn die nächste Dividende kommt bestimmt.
Kommentare