Billige Absteigen
Man muss kein ausgewiesener Schlafforscher sein, um nachvollziehen zu können, weshalb sich die Profis Nacht für Nacht herumwälzen. Eine Tour de France ist zugleich auch eine Tour durch die französische Bettenlandschaft. Nach jeder Etappe geht’s in ein neues Hotel, manche Matratzen in den teils ehrwürdigen Schlafzimmern haben wohl ähnlich viel zu erzählen wie die Tour.
Man darf sich das Leben eines Radfahrers während der Tour de France nämlich keineswegs luxuriös vorstellen. Die Stars leben nicht wie Gott in Frankreich, die Etappen enden häufig in entlegenen Regionen ohne moderne und pipifeine Hotels. Damit sich nicht nur die reicheren Topteams in den besten Häusern einquartieren, gibt’s bei der Tour de France seit Jahren einen Hotelverteilungsschlüssel und die Herbergen werden zugeteilt. Dann kann’s schon passieren, dass Superstars auch einmal in billigen Absteigen landen, die sich keine zwei Sterne verdient hätten. „Stell’ dir vor, du fährst 200 Kilometer und wirst dann in einem Raum untergebracht ohne Klimaanlage“, berichtete Mark Cavendish, mit 34 Etappensiegen der Rekordmann der Tour. „Und dein Zimmer ist so winzig, dass du über den Koffer klettern musst, damit du ins Bad kommst.“
Felix Gall ist zu seiner ersten Tour de France mit einem eigenen Polster gereist. Er hat den Eindruck, dass die fremden Betten für ihn so zumindest ein bisschen heimeliger werden. Ein Ruhekissen ist allerdings etwas anderes. Denn Gall hat die Erfahrung gemacht, dass jede einzelne Tour-Etappe nicht nur körperliche Spuren hinterlässt, sie wirkt auch im Kopf nach und verfolgt einen bis in den Schlaf. Gerade nach so aufwühlenden Ereignissen wie am Sonntag, als Gall mehrmals wegen eines Defekts das Rad wechseln musste und im Gesamtklassement aus den Top Ten rutschte, ist an Schlafen nicht zu denken. „Je länger die Rundfahrt dauert, umso schwieriger wird es. Ich bewundere die Leute, die sich ins Bett legen und gleich weg sind. Ich muss immer schauen, dass ich irgendwie runterkomme“, erzählt der Profi aus Nußdorf-Debant.
Entspannte Musik
Felix Gall gelingt das am besten, wenn er das Rad gedanklich zur Seite stellt. „Ich versuche dann, am Abend entspannte Musik zu hören, eine Serie zu schauen oder einfach nur zu lesen“, erzählt er. „Aber in Wahrheit muss jeder für sich eine Lösung finden, wie er mit dem Schlafmangel fertig wird.“
Manche Radprofis greifen deshalb auch zu Medikamenten, um ins Reich der Träume zu fallen. „Ich kenne einige, die während so einer Rundfahrt Schlafmittel nehmen“, erzählt Felix Gall. Er selbst ist kein Freund davon, er kennt Sportler, die dann am nächsten Morgen noch geräderter sind. „Man schläft zwar, aber es ist nicht unbedingt immer ein erholsamer Schlaf. Und bei einer dreiwöchigen Rundfahrt kannst du das auch nicht jede Nacht machen.“
Vor allem, wenn man ein Tour-Neuling ist wie Gall und auf dem Weg nach Paris dermaßen viele Eindrücke sammelt. Auf der Bergetappe nach Morzine, die der Osttiroler als Siebenter beendet hatte, fuhr er an einer ausgelassenen Anhängerin vorbei, die ihr Leibchen hochriss. Der nackte Tour-Wahnsinn.
Wer kann es Felix Gall verdenken, dass er an diesem Abend noch später zur Ruhe kam als sonst ...
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