An Grenzen gestoßen
Die heute 27-Jährige hatte in ihrer Heimat im Iran im Synchronschwimmen gewonnen, was es zu gewinnen gab. Zunächst in der Jugend, dann nationale Meistertitel. Dann hätte sie es gerne auf internationaler Ebene versucht. „Aber international dürfen Iranerinnen wegen der islamischen Hijab-Anforderungen nicht antreten“, erklärt sie. Synchronschwimmen vor den Augen von Männern ist verboten, im Iran ist das strikt getrennt. „Mein Vater konnte keinen einzigen meiner Erfolge live miterleben“, sagt Soltani.
Mit 18 Jahren stieg sie aufs Kajak um, wo sie Wettkämpfe mit Hijab bestreiten konnte. Nach zwei Jahren war sie bereits im Nationalteam, wurde iranische Meisterin und gewann später eine Silbermedaille bei der Asienmeisterschaft.
Für das Trainingscamp in Barcelona hatte sie ein Touristenvisum beantragt. Als sie wieder heimfliegen wollte, erfuhr sie, dass sie dort von Sittenwächtern gesucht wurde. Soltani war längst ins Visier geraten – durch ihr Instagram-Profil, auf dem sie ohne Hijab beim Sport zu sehen ist und durch ihre sportlichen Erfolge im Synchronschwimmen und Kajak, sagt sie. Sie realisierte, dass sie nicht zurückkehren konnte.
Wien aus Zufall
Weil die einzige Person, die sie in Europa kannte, ein entfernter Bekannter in Wien war, entschied sie sich in ihrer Hilflosigkeit für die österreichische Hauptstadt. Dass sie ein Jahr später immer noch hier sein würde, ahnte sie damals nicht. Wenige Wochen nach ihrer Entscheidung am Flughafen von Barcelona begann die „Woman-Life-Freedom“-Bewegung im Iran. „Sicherheitskräfte nahmen Demonstranten gefangen, folterten und exekutierten sie.“ Zwei ihrer Freunde wurden getötet, zwei Kanu-Nationalteamkollegen inhaftiert.
Der Bekannte in Wien, bei dem sie unterkam, ermutigte Soltani, hier mit dem Kajak weiterzumachen. Der Vizepräsident des Kanuverbands, Wolfgang Höchtl, erzählt vom ersten Kontakt: „Wir sind eine kleine Community. Wenn jemand zu uns will, ist er herzlich willkommen.“ Soltani sei „leistungswillig und -fähig“, sie bereichere die Szene und sei „durchaus konkurrenzfähig“. Finanzieren könne der Verband sie aber nicht.
Die Iranerin trainiert mit dem österreichischen Nationalteam in Wien. „Anfangs war ich in schlechter Verfassung. Ich war schwach in Ausdauer, Kraft und Technik.“ Kanuverband, Klub, Trainer, Teamkollegen und ihre neu gewonnenen Freunde unterstützten sie.
Zurück an die Spitze
Knapp ein Jahr später ist Soltani mehrfache österreichische Meisterin und Vizemeisterin (im Kajak ist das auch ohne Staatsbürgerschaft möglich). Anfang September gewann sie zudem in allen Sprint-Disziplinen die Wiener Landesmeistertitel. Sie würde sich gerne international messen, doch für Österreich kann sie derzeit nicht antreten. Dem iranischen Verband hat sie den Rücken gekehrt. Diesmal soll jedoch auf nationaler Ebene nicht Schluss sein, wie einst im Synchronschwimmen.
Ihr großes Ziel ist es, bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris im Refugee-Team anzutreten, für das sie eine „Wild Card“ des IOC benötigen würde. Der österreichische Kanuverband und das ÖOC unterstützen sie dabei. „Wir können die Kontakte herstellen und für sie sprechen. Die Entscheidung trifft das IOC“, sagt Höchtl. Soltani arbeitet daran, Unterstützung von der Stadt Wien zu erhalten und sucht nach Sponsoren, um ihren Traum zu verwirklichen.
Davor wartet aber noch ein weiterer wichtiger Termin. Denn die Voraussetzung für die Aufnahme ins Refugee-Team ist ein aufrechter Asylstatus. Nächste Woche ist Soltani zum Interview beim Bundesamt für Fremdenwesen geladen.
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