Was wurde aus der Iran-Revolution?

Was wurde aus der Iran-Revolution?
Die Sittenpolizei greift auf iranischen Straßen wieder strenger durch. Wie es um die Protestbewegung mit dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ steht.

„Wenn die Kopftuchpflicht fällt, fällt auch das Regime“ lautete einer der viel zitierten Leitsätze der iranischen Protestbewegung, die das Mullah-Regime stürzen will. Seit Monaten spazieren Frauen wie selbstverständlich ohne den obligatorischen Hijab auf den Straßen, gehen einkaufen, tanzen auf spontanen Straßenfesten. Vor einem Jahr wären solche Szenen noch unmöglich gewesen – und sollen es auch wieder sein.

Seit Sonntag patrouillieren die gefürchteten Sittenwächter wieder an viel besuchten Plätzen, Frauen ohne Kopftuch werden verwarnt oder gleich in weiße Vans gezerrt und verhaftet. Im iranischen TV wird Frauen ohne Kopftuch mit Vergewaltigung und Erziehungscamps gedroht. Mindestens 60 Studentinnen sollen bereits von der Universität suspendiert sein, es gibt Berufsverbote, eine Frau wurde dazu verurteilt, Leichen zu waschen. All das, um den widerspenstigen Iranerinnen eine Lektion zu erteilen und Exempel zu statuieren.

In diesem Video will eine Sittenwächterin eine "Hijab-Rebellin" wegzerren. Die Frau ruft um Hilfe und schreit: "Ich komme nicht mit!"

Auch Männer werden unterdrückt

Und nicht nur die Frauen werden bei der aktuellen Machtdemonstration des Regimes unterdrückt, auch Männer, die ihren zivilen Protest etwa durch das Tragen kurzer Hosen zeigen (auch das ist im Iran verboten), werden bestraft. Der im Iran bekannte Schauspieler Mohamad Sadeghi wurde am Wochenende unter aufsehenerregenden Umständen verhaftet, nachdem er in einem Video auf Instagram die neue Verhaftungswelle kritisiert hat. Sadeghi hat für die Öffentlichkeit live mitverfolgbar gefilmt, wie seine Tür aufgebrochen wird. Er soll laut Fars News wegen der Verbreitung von Homosexualität angeklagt werden – darauf steht die Todesstrafe.

Zeitpunkt für Sittenpolizei ist kein Zufall

Der Zeitpunkt für das harte Durchgreifen des Regimes ist nicht zufällig gewählt. In genau zwei Monaten jährt sich der Todestag von Jina Mahsa Amini - jener Frau, deren Tod in Polizeigewahrsam als Auslöser der Protestwelle galt. Ihr Name wurde zum Code für die ganze Bewegung, die mit dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ weltweit für Aufsehen gesorgt hat. Wien widmet ihr sogar eine Jina-Mahsa-Amini-Straße in der Seestadt.

Doch die Bewegung musste starke Rückschläge in Kauf nehmen. Seit Jahresbeginn wurden rund 200 Todesurteile vollstreckt. Tausende sitzen noch immer in Haft. Angehörige der Hunderten Toten, die öffentlich Gerechtigkeit für ihre erschossenen oder zu Tode gefolterten Kinder, Schwestern und Brüder forderten, wurden selbst inhaftiert oder bedroht, um sie zum Schweigen zu bringen.

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„Die Protestbewegung ist auf keinen Fall erstickt“, erklärt dazu die Iran-Expertin Shoura Hashemi. „Im Moment fehlt der Mut in Massen auf die Straßen zu gehen, aber ich bin überzeugt, dass es wieder einen Zünder geben wird.“ Die Frage sei, wie weit das Regime bereit ist, die Maßnahmen durchzusetzen. „Man bemüht sich derzeit die Beziehungen zum Westen zu stabilisieren. Gewaltsame Bilder wie im vergangenen Herbst sollen verhindert werden.“

Letztendlich fehlt inzwischen aber eine Oppositionsfigur, die an der Spitze einer solchen Revolution stehen könnte. Anfangs war das noch ein Vorteil der Bewegung, da es keine Führung gab, die ausgeschaltet werden konnte. „Der Großteil der politischen Opposition sitzt im Gefängnis und die Frage der Opposition von außen ist schwierig“, erklärt Hashemi.

Wenig Unterstützung

Die Exil-Formation mit dem Schah-Sohn Reza Pahlavi und der Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi wurde in den vergangenen Monaten bei diversen Staatschefs vorstellig – Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu empfing Pahlavi sogar wie einen Staatsgast.

Doch in der Diaspora gibt es viel Streit über den richtigen Weg und Macht der Mullahs scheint trotz diverser Spekulationen über interne Risse ungebrochen. „Derzeit gibt es keine Regierung, die Interesse daran hat die Protestbewegung zu unterstützen. Das kann sich schlagartig ändern, wenn im Iran wieder mehr Menschen auf die Straße gehen.“

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International wird unterdessen weiterhin über den Atom-Deal verhandelt, Hashemi vermutet einen „Atomdeal-Light“, der auf nukleare Deeskalation abzielt. „Die Frage ist, was dem Regime im Gegenzug geboten wird. Das kann für die Protestbewegung eine große Auswirkung haben.“

Auf Irans Straßen dürften sich die Frauen derzeit noch von den neuerlichen Verschärfungen der Sittenregeln unbeeindruckt zeigen. Hashemi: „Ich habe bisher nicht den Eindruck, dass die Frauen sich einschüchtern lassen. Man wird sehen, ob es spätestens im Herbst zu Gewaltexzessen kommt. Allen ist klar, dass das Regime Angst vor der Durchhaltekraft dieser Protestbewegung hat.“

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