„Kein Picknick“
Über vieles, was er erlebt hat kann Ghaderi gar nicht sprechen. „Ich möchte vergessen. Ich spreche mit einer Psychologin darüber. Die Leute sind dort unter Folter, physisch wie geistig und ich war keine Ausnahme. Ich habe nachts sehr laute Schreie gehört. Und in der Zelle hatten wir Leute, die stark geschlagen worden sind, auch blutende Menschen. Also, es ist kein Picknick dort.“
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Doch was wurde ihm überhaupt vorgeworfen? Ghaderi wurde wegen „Zusammenarbeit mit feindlichen Staaten gegen die Islamische Republik“ zu zehn Jahren Haft verurteilt. Wenige Monate vor seiner Verhaftung war der IT-Berater als Teil der österreichischen Delegation mit dem damaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer im Iran.
Warum gerade er?
„Ich habe mir diese Frage sehr oft gestellt. Ich konnte keine Antwort finden. Aber nachdem ich mit anderen Inhaftierten zusammen war und Geschichten von Leuten aus dem Westen gehört habe, vermute ich sehr stark, dass sie Doppelstaatsbürger, Franzosen, Deutsche – Europäer und Amerikaner – festnehmen, um sie als Druckmittel bei Verhandlungen zu nutzen. Deswegen habe ich mir nach einer Zeit nicht mehr die Frage nach dem Warum gestellt, sondern die Frage, wie kann ich überleben, ohne viel Schaden zu erleiden?“
Also hat Ghaderi einen Plan für sich aufgestellt: „Ich habe ganz groß aufgeschrieben, du bist deiner Familie schuldig, so gesund wie möglich wieder nach Hause zu kommen – physisch und psychisch. Wenn man dort nichts macht, wird man depressiv. Wir haben dort genug Leute gesehen, die versucht haben sich umzubringen.“
Die Häftlinge außerhalb des Trakt 209 geben einander Unterricht – iranische Gefängnisse sind bekannt dafür, die intellektuelle Elite des Landes zu inhaftieren. Sie sind zu zwanzigst in einer 30m2 großen Zelle und lehren einander etwa Französisch und Spanisch, Ghaderi selbst unterrichtete Deutsch. Gesundheitlich hat er als Folge der Haftbedingungen eine dauerhafte Prothese an der Wirbelsäule. Dazu kommen Schlaf- und Essstörungen.
Flugticket nach Hause
Für die Chance heil zu seiner Familie zurückkehren zu können, war er gezwungen, die Forderungen des Geheimdienstes erfüllen: „Sie haben mir Papier gegeben, damit ich Geständnisse schreibe. Die musste ich mehrere Male neu schreiben.“ Um den dreifachen Familienvater zur Kooperation zu bewegen, sollen die Behörden ihm sogar ein Flugticket nach Hause unter die Nase gehalten haben. „Doch es war Trick und List. Ich habe geschrieben was sie wollten, aber dann haben mir sie das Flugticket weggenommen und gesagt, ich kooperiere nicht.“
Da erzählt Ghaderi von einem der Momente, in denen er dachte, es ist gleich aus mit ihm: „Sie haben mich aus der Zelle geholt, sehr grob, Augenbinde sowieso. Ich habe immer gefragt, wohin. Und da dachte ich dann, das sind meine letzten Schritte und habe sehr gezittert. Es ist unbeschreiblich. Als sie mir die Augenbinde abgenommen haben, war ich in einem Zimmer mit einem Mann.“
Ghaderi zieht bei seiner Erzählung den Kopf ein und blickt nach oben, als würde er nach einem Galgen Ausschau halten. „Es war keine Hinrichtung.“ Er saß vor einem Richter. Er versuchte ihn um Hilfe zu bitten, hat ihm seine Geschichte erzählt. Doch die Justiz interessierte sich nicht für seine Version.
„Sie haben mir vor zweieinhalb Jahren gesagt, sie wollen etwas haben und ich bleibe dort, bis sie das bekommen. Was sie wollten? Keine Ahnung. Aber das haben sie mir gesagt, weil ich jedes Jahr mehrfach Strafreduktion, Fußfessel oder Begnadigung beantragt habe.“
Dass seine Freilassung etwas mit dem wenige Tage davor über die Bühne gelaufenen Gefangenenaustausch des verurteilten Terroristen Assadollah Assadi gegen einen im Iran inhaftierten belgischen Entwicklungshelfer zu tun hat (siehe Infobox unten), hält Ghaderi für Spekulation. „Es kann sein, kann auch nicht sein.“
Zur Geiseldiplomatie sagt Ghaderi dennoch: „Wir sind dort unter Folter. Das ist menschlich, dass wir gerne raus wollen. Aber keiner ist bereit auf Kosten anderer zu gehen. Da sind die Politiker am Zug.“
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