Was macht dieses Rennen mit Ihnen als Sportler?
Ich nehme mir immer vor, das Ganze gelassener und routinierter anzugehen. Aber spätestens wenn ich am Sonntag in der Früh auf dem Marktplatz von Antwerpen stehe, kommt die Gänsehaut. Das sind schlicht und weg die Rennen, die mich Profi werden haben lassen. Ich merke, dass ich die Atmosphäre richtig aufsauge. Das pusht mich so, dass ich aufpassen muss, damit ich mich von der Stimmung am Streckenrand nicht zu sehr mitreißen lasse.
Mit welcher Aufgabe gehen Sie persönlich ins Rennen?
Wir haben in unserem Team diesmal keinen echten Favoriten auf den Sieg. Deswegen werde ich die Freiheit haben, in eine frühe Spitzengruppe zu gehen. Wenn die Topfavoriten wie Van der Poel oder Pedersen loslegen, dann muss man sich eingestehen, dass gegen die kein Kraut gewachsen ist. Wir müssen also versuchen, uns irgendwie mit einer anderen Taktik ins Finale zu boxen. Ich muss früher losfahren, als die Favoriten. Nur dann habe ich eine Chance.
Das muss Ihnen als Spezialist für Eintagesrennen doch eh liegen.
Meine Einzel-Ergebnisse täuschen ein bisschen. Ja, ich habe meine größten Erfolge bei Eintagesrennen gefeiert. Aber acht Tour de France-Starts zeigen, dass ich auch im Team eine wichtige Rolle spiele. Nur ist diese Aufgabe nicht immer ummünzbar auf den persönlichen Erfolg. Ich vergleiche das gerne mit dem Fußball und David Alaba.
Mit David Alaba?
David Alaba wird gefeiert, wenn er mit Real Madrid die Champions League gewinnt, auch wenn er selbst im Finale kein Tor schießt. Da geht es um die Teamleistung. Auch bei mir ist es schön, Teil der Mannschaft zu sein und etwas zum Erfolg beitragen zu können.
Welchen Einfluss hat das Wetter? Wie nimmt man 270 Kilometer in Angriff, wenn es wie aus Kübeln schüttet?
Vor fünf Jahren hätte ich es noch ultrageil gefunden, wenn es regnet und richtig grausig ist. Dann hätte ich nämlich das halbe Starterfeld schon in der Tasche gehabt, die meisten verlieren die Moral, wenn das Wetter schlecht ist. Heute ist es auch mir lieber, wenn die Straße trocken ist. Wobei dieses mystische Schlechtwetter ja irgendwie zur Flandern-Rundfahrt dazugehört. Man wird dann noch mehr als Held gefeiert.
Ist das wirklich so?
Ich bin zum Beispiel unheimlich stolz, dass ich 2021 beim regnerischen Paris-Roubaix dabei war und dort einen wesentlichen Teil zum Sieg meines Teamkollegen Sonny Colbrelli beigesteuert habe. Den Anzug, den ich damals getragen habe, habe ich bis heute nicht gewaschen. Genau das sind Geschichten, die man nicht vergisst. Für die Flandern-Rundfahrt gilt ja dieser eine Spruch: Bei schönem Wetter stehen eine halbe Million Leute an der Strecke. Wenn es regnet, ist es dann eine ganze Million.
Können Sie die Flandern-Rundfahrt denn genießen?
Um wieder den Vergleich mit der Streif herzustellen. Wer ins Ziel kommt, der hat etwas Besonderes geleistet. Wenn man die Flandernrundfahrt beendet oder in das berühmte Velodrome in Roubaix einfährt, dann fühlt man sich schon stolz. Das sind Rennen, wo das Finishen etwas wert ist.
Bei Eintagesrennen geht es im Fahrerfeld oft hektisch zu. Wie schafft man es, Stürzen so gut es geht aus dem Weg zu gehen?
Diese Gefahr sitzt immer im Nacken. Ich hatte heuer auch schon einen schweren Sturz bei Tempo 70, das steckt dann schon in den Knochen. Der Stress und der Druck im Fahrerfeld werden immer höher, es wird wesentlich härter gefahren als noch vor zehn Jahren. Der Kampf um Verträge und Resultate hat dazu geführt, dass der Respekt untereinander ein bisschen flöten geht.
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