Radprofi Gogl: "Es gibt komplett Wahnsinnige im Fahrerfeld"

Beckenbruch, Schlüsselbeinbruch, Bruch eines Rückenwirbels, Verletzungen an der Arterie und an der Lunge – nach einem schweren Sturz bei der Tour de France 2022 lag Michael Gogl auf der Intensivstation. Der 29-jährige Radprofi aus Oberösterreich war damals frontal in den Italiener Daniel Oss gekracht, der direkt vor ihm gestürzt war. "Ich bin dankbar, dass ich meine Beine bewegen kann", sagte er.
Mittlerweile sitzt der Profi des Alpecin-Fenix-Teams wieder im Sattel und nimmt die Eintagesklassiker in Angriff. Am Sonntag wartet die berühmte Flandernrundfahrt.
KURIER: Wie schwierig war für Sie der Weg zurück?
Michael Gogl: Ich habe festgestellt, dass sich der Mensch relativ schnell wieder an die Gegebenheiten anpasst. Die letzten mentalen Bedenken sind bei den Rennen im Jänner in Australien mitgefahren. Da war ich auch sehr gefordert, weil es gefährlich war und viele Stürze gab.
Fahren Sie seit Ihrem Sturz denn vorsichtiger?
Ich war immer schon sehr gut im Positionsfahren im Feld. Und das verlernt man ja nicht durch so einen Unfall. Aber natürlich kommen Situationen, in denen ich das Risiko viel bewusster wahrnehme. Wie zum Beispiel beim ersten Rennen heuer in Belgien.
Was ist da passiert?
Man muss es wirklich so sagen: Es gibt komplett Wahnsinnige im Fahrerfeld. Die belgischen Straßen sind jetzt bekanntlich nicht immer die besten. Da war ein Betonstück von knapp 15 Zentimetern Breite als Bankett. Und da will dann einer in einer Innenkurve auf dem Streifen überholen. Mit 60 km/h. Um den Preis, dass er zehn Leute abräumt und sich dabei mindestens drei Fahrer was brechen. Manche schalten wirklich das Hirn zu sehr aus.
Haben Sie eine Strategie, um solchen riskanten Situationen und Stürzen aus dem Weg zu gehen?
Es gibt bei uns schon solche Steuerkünstler, denen man aus dem Weg geht und die man eher in einem weiten Bogen überholt. Und ich halte mich normalerweise auch immer lieber in der Mitte der Straße auf.
Damit Sie mit keinem Fan in Kontakt kommen?
Diesem Risiko setze ich mich bewusst nicht aus. Ich bin lange genug Profi, um zu wissen, dass ein Zuschauer eine relativ träge Masse ist. Und wenn du auf den mit 50 km/h zusteuerst, kannst du nicht erwarten, dass er rechtzeitig wegspringt. Und umgekehrt: Wenn sich vor dir plötzlich fünf Fahrer hinlegen, dann hast du keinen Platz mehr, wo du hinlenken kannst. Und dann liegst du halt auch auf der Straße.
Mitgehangen mitgefangen.
Fakt ist: Das Risiko, das wir eingehen, ist abartig. Und das sehe ich jetzt schon klarer, als vor dem Sturz bei der Tour de France. Da braucht man auch nichts schönreden. Jedem von uns ist bewusst: In unserem Sport kann die kleinste Unachtsamkeit fatale Auswirkungen haben.
Dafür passiert dann aber doch vergleichsweise wenig.
Manchmal denke ich mir: Wie gut ist da beinahe jeder Einzelne im Feld drauf. Sonst würden sich da manche Sachen sowieso nicht ausgehen. Eigentlich ist es ein Wahnsinn, dass wirklich nicht mehr passiert“
Ist so ein Eintagesklassiker wie die Flandern-Rundfahrt stressiger und anstrengender als eine Etappe bei der Tour de France?
Eine Etappe bei der Tour ist eigentlich wie ein Eintagesklassiker. Nur mit dem Unterschied, dass du das drei Wochen hintereinander jeden Tag hast. Die Tour de France ist für jeden ein Riesenstresstest, weil der ganze Fokus auf dieser Rundfahrt ist. Speziell die erste Woche ist da immer extrem hektisch und elektrisierend. Mental fordert einen das sehr.
Wie muss man sich das vorstellen?
Du musst permanent aufmerksam sein. Man glaubt gar nicht, wie viel Energie das kostet, immer alles im Auge zu behalten. Du musst die Bewegungen im Fahrerfeld wahrnehmen, du musst voraus schauen, ob nicht irgendwo ein Fahrbahnteiler daherkommt. Dann wollen dich noch drei Motorräder überholen. Das sind sehr viele Herausforderungen. Und dann kommt eines noch dazu.
Was denn?
Bei den großen Rennen sind die Zuschauer am Straßenrand so laut, dass du nicht hörst, wenn was passiert. Wir fahren alle auch auf Gehör, wenn vorne ein Sturz passiert, dann kann man das bei Rennen mit weniger Fans hören und ist alarmiert und kann entsprechend reagieren. Bei Rennen wie der Flandernrundfahrt kannst du das vergessen.
Können Sie so ein Rennen eigentlich auch genießen?
Von der Landschaft kriege ich gar nichts mit. Aber ich genieße es, den Weg durch dieses Chaos zu finden, ich genieße den Wettkampf und und mit dem Team Erfolge zu haben. Wenn einem das nicht mehr gefällt, dann muss man es eh lassen. Weil dafür ist der Sport zu zach.
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