Medaillen-Kampf zwischen Tränen und Jubel: "Da kommen die abstrusesten Ideen"
Der Kampf um paralympische Medaillen ist auch mental eine Herausforderung. Freud und Leid liegen oft eng beieinander. Österreich hat mit Christina Lechner, die seit 2017 mit dem ÖPC-Team zusammenarbeitet, erstmals auch eine Sportpsychologin bei den Spielen in Paris mit dabei.
KURIER: Die Athletinnen und Athleten bereiten sich jahrelang auf die Paralympics vor, oft platzt dann der Traum recht schnell, bzw. endet mit einer Enttäuschung. Wie schafft man es, die Sportler da wieder aufzubauen?
Christina Lechner: Wenn ein Athlet sich hohe Erwartungen gesetzt hat, das aber nicht aufgeht, ist die Enttäuschung nachvollziehbar. Ganz wichtig ist es dann immer, den Athleten die Zeit zu geben, diese Emotionen einmal zu verarbeiten und ihnen zu vermitteln, dass es außerhalb des Sportlichen ganz viel gibt, das sie als Persönlichkeit ausmacht. Und ihnen die Wertschätzung als Mensch zu geben, unabhängig von der Leistung.
Sie haben selbst auch Leistungssport (im Pferdesport; Anm.) betrieben. Wie sehr hat sich der Fokus auf die mentale Gesundheit im Sport auch verändert?
Es hat sich sehr, sehr viel getan. Man nimmt jetzt die Seele der Athleten ernst. Man sieht, wenn jemand es schafft, emotional gut mit diesem Drumherum umzugehen und sich wirklich zu fokussieren, hat man schon einen Vorteil. Das passiert aber nicht einfach so, das muss ich lange vorbereiten.
Was waren im Vorfeld der Paralympics und jetzt während der Spiele die größten Themen und Probleme, mit denen die Sportler auf Sie zukommen?
Erst einmal diese vielen Eindrücke. Es ist alles sehr groß, das paralympische Dorf ist riesig. Dann das große Interesse der Medien und Zuschauer, das in vielen Sportarten bei normalen Wettkämpfen nicht so der Fall ist. Im Unterschied zu Tokio haben wir jetzt auch wieder Zuschauer, wir sind in Europa, Familie und Freunde sind dabei. Man möchte natürlich für sich selbst, aber auch für das Umfeld Leistung zeigen. Und da baut sich Druck auf. Dazu kommt auch viel Stressmanagement.
Gibt es vermeintliche kleine Themen, die aufkommen, mit denen man vielleicht nicht direkt rechnet?
Natürlich will man, dass alles optimal läuft, aber dann ist es vielleicht eine kleine Schraube, die gerade nicht an ihrem Ort ist. Und da zieht dann das ganze Team an einem Strang und versucht, Ruhe reinzubringen und zu schauen, dass kein unnötiger Stress entsteht. Ich erstelle mit Sportlern auch gerne Szenarien, was alles im Wettkampf passieren kann. Da kommen wir auf die abstrusesten Ideen.
Schwimmer Andreas Onea hat etwa immer eine zweite Badehose im Rucksack, weil ihm diese einmal im Rennen gerissen ist.
Das ist ein super Beispiel. Wenn ich Sportler schon länger betreue, dann toben wir uns mental sprichwörtlich aus. Und wenn sie es einmal im Kopf durchgespielt haben, dann haben sie auch die Flexibilität in der Situation.
Inwiefern spielt Social Media auch eine Rolle? Manche Sportlerinnen sind ja auf Instagram und Co. unterwegs, präsentieren sich da natürlich auch selbst.
Das ist ein großer Teil der Professionalisierung im Sport und viele haben teilweise auch eine gewisse Verpflichtung, dass sie sich präsentieren. Sie können natürlich selber entscheiden, was sie über sich kommunizieren wollen. Auf der anderen Seite müssen sie aber auch aufpassen, was sie konsumieren. Bei den meisten wird aber das Handy eine gewisse Zeit vor dem Wettkampf eh abgedreht.
Gibt es Herausforderungen, Probleme, Ängste, die wirklich speziell für die Para-Athleten sind und aufkommen?
Es gibt eine Studie, in der man Para-Sportler gefragt hat, was ihnen wichtig ist. Die Quintessenz ist, dass man das Thema Behinderung nicht ausblenden kann, aber nur dort thematisieren soll, wo es wirklich einen Einfluss hat. Es gibt, was die Sportpsychologie betrifft, keinen Unterschied, wie jemand denkt und fühlt.
Was haben Sie persönlich auch in der Arbeit mit den Para-Sportlern gelernt?
Einerseits, dass sie teilweise wirklich einen sehr guten Humor haben. Und was mich immer freut, ist, wenn ich mit Sportlern länger an mentalen Techniken gearbeitet habe und sie diese dann für sich weiterentwickeln.
Hinweis: Die Pressereise zu den Paralympics in Paris erfolgte auf Einladung und Kosten des Österreichischen Paralympischen Committees.
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