Weil sowjetische Truppen ab Dezember 1979 in Afghanistan einmarschierten, wurden die olympischen Sommerspiele 1980 in Moskau von 42 Ländern boykottiert, darunter von den USA und Deutschland. Österreich nahm teil – und holte drei Medaillen. Der damals 22-jährige Wolfgang Mayrhofer segelte im Finn-Dinghy zu Silber und nahm in Tallinn (die Segelbewerbe fanden fast 900 Kilometer von Moskau entfernt statt) die Medaille aus Protest gegen den Einmarsch mit Trauerflor am Oberarm entgegen. Drei Jahre nach der Medaille beendete der Segler seine Karriere und schloss sein Studium an der Wirtschaftsuni ab. Dort beschäftigt sich der heute 62-jährige Professor mit Personalmanagement und Karriereforschung. KURIER: Wann war klar, dass Sie in Moskau segeln dürfen? Wolfgang Mayrhofer: Ich habe die Qualifikation im letzten Abdruck geschafft. Es waren meine Bedingungen: Leichtwind, denn ich war ein kleiner und leichter Segler.
Wie fanden Sie den Boykott?
Ich fand es damals falsch und finde es heute noch falsch. Ich habe damals gesehen, wie sich Kollegen aus Deutschland und den USA umsonst jahrelang auf die Spiele vorbereitet haben. Da sind dann diese verlogenen Regierungen gekommen und haben boykottiert. Dort, wo es nichts kostet, vor allem ökonomisch nicht, bei der Kultur oder beim Sport aber haben sie boykottiert. Da wurden Lebensträume zerstört. Das finde ich abstoßend.
Ihnen war egal, was in Afghanistan passiert ist?
Nein. Aber das Thema ist: Wie machst du das individuell? Sagst du irgendetwas, tust du irgendetwas? Da war ich hin- und hergerissen.
Waren Sie froh, dass Österreich nicht boykottiert hat?
Wenn Österreich gesagt hätte, wir fahren nicht, wäre das ein Witz gewesen. So, wie sie es gemacht haben, war es aber auch ein Witz. Die Faust in der Tasche geballt, wir sind ja die braven Österreicher.
Sie selbst haben sich dann für den Protest gerüstet?
Ich war 22 Jahre alt. Da bist du in einem Erfahrungssport wie Segeln noch kein fertiger Athlet. Mein Niveau war zwischen Platz 8 und 15. Daher bin ich nicht auf der Liste ganz oben gestanden für einen Platz auf dem Stockerl. Aber dann kamen die 68er-Bilder wieder hoch, und ich habe ein paar Utensilien mitgenommen in der Hoffnung, dass ich ad hoc etwas machen kann, wenn es möglich ist.
Welche 68er-Bilder?
Die Spiele in Mexiko waren ein prägendes Erlebnis für mich. 1968 war durch die Medaille von Hubert Raudaschl und das Sprinter-Statement ein wichtiger Wendepunkt. Black Power, die Faust mit dem schwarzen Handschuh, das hat mich damals sehr, sehr bewegt. Ich nehme an, das war so ein Samen, der dort gelegt worden ist, als Möglichkeit, wie kannst du dich als Sportler jenseits des Sports ausdrücken? Das war vielleicht von einem Zehnjährigen kindlich naiv. Ich war aber immer ein relativ interessierter Zeitungsleser.
War 1980 der Einmarsch in Afghanistan unter den Sportlern ständiges Thema?
Wir waren ja in Tallinn, und dort war das ein Nicht-Thema. Die Funktionäre damals waren, positiv formuliert, sehr diplomatische Leute. Ein bisserl was hätte man sich aber schon überlegen können.
Hätten die Funktionäre mehr Rückgrat zeigen sollen?
Der Mut hat uns Österreicher in den letzten sechs Jahrzehnten selten ausgezeichnet. Ich bin aber letztlich nur für mich verantwortlich.
Wie waren die Reaktionen auf Ihre Trauerflor-Aktion?
Wenn du einer von
drei Medaillengewinnern bist, dann sehen sie dir viel nach. Das Spektrum reichte von Unverständnis bis zu den klassischen Aussagen: Wahrscheinlich ist seine Großmutter gestorben.
Sie hatten eine Nacht bis zur Medaillenübergabe, was ist da in Ihnen vorgegangen?
Die Medaille wollte ich nicht aberkannt bekommen. Die Russen wollte ich auch nicht verschrecken, weil ich wieder nach Ungarn zum Training fahren wollte. Es war so ein Versuch, ein Statement zu machen, das aufrüttelnd genug ist, damit du danach gefragt wirst, aber nicht so, dass sie dich gleich am Schlafittchen haben.
Also entschieden Sie sich für die schwarze Schleife, die Sie vorsorglich mitgenommen hatten.
Es war für mich ein durchaus pragmatischer Kompromiss. Kritische Leute sagen aber auch nicht ganz zu Unrecht, dass es auch nicht mutiger war als die Hosentaschen-Faustballerei.
Sie sind dann mit dem Trauerflor zur Medaillenzeremonie gegangen?
Nein. Ich musste die Schleife so mitnehmen, dass man sie mir nicht vorher runterreißen konnte. Ich habe keine Sicherheitsnadeln mitgehabt, da habe ich sie mir während der Siegerehrung irgendwie mit normalen Nadeln auf dem Ärmel befestigt.
Derzeit geben die Sportler weltweit im Zuge der „Black Lives Matter“-Bewegung politische Statements und Gesten ab. Ist das gut so?
Es gibt eine Schwelle bei politischen Protesten im Sport, vor allem, wenn es um ganz große Themen geht wie Rassismus. Da haben dann auch Sportlerinnen und Sportler in ihrer Rolle als normale Bürger das Recht, vielleicht sogar die Pflicht, ihre Sichtbarkeit für eine politische Botschaft zu nutzen.
Viele ahmen die Geste des Footballers Colin Kaepernick nach, der vor vier Jahren bei der Hymne auf die Knie gegangen ist, statt aufzustehen.
Ich fand die Geste gut, denn Kaepernick hat ja nicht respektlos mit dem Fuß gewackelt, der hat sich niedergekniet. Das zeigt Ehrfurcht. Isoliert genommen, finde ich es hervorragend.
Das Internationale Olympische Komitee verbietet politische Statements.
Ich verstehe das Anliegen des sonst von mir nicht so sehr geschätzten IOC. Das ist wahrscheinlich eine der autoritärsten Organisationen, die man sich nur vorstellen kann. Anliegen hat ein jeder. Von „Rettet den Regenwurm“ bis „Putin, mein Held“. Wenn da jeder bei der Siegerehrung mit drei Plakaten daherkommt, dann ist das problematisch.
Es ist völlig verlogen, wenn man sagt, wir schaffen eine politikfreie Zone. Sport ist immer hochpolitisch gewesen"
von Wolfgang Mayrhofer
über das Verhältnis von Sport und Politik
Wie politisch ist eigentlich der Sport?
Es ist völlig verlogen, wenn man sagt, wir schaffen eine politikfreie Zone. Sport ist immer hochpolitisch gewesen. Bis hin zu den Engländern, die bei ihren eigenen Spielen Milliarden in die Hand genommen haben, um gut abzuschneiden. Auch so etwas ist ein politisches Statement.
Die Sprinter Tommie Smith und John Carlos hatten nach ihrem Protest 1968 große Probleme und viele Anfeindungen. Kaepernick ist seit seinem Kniefall arbeitslos. Wir war es bei Ihnen?
Du bist als Segler ganz schnell vergessen. Weder das politische Statement noch die Medaille haben unmittelbar viel gebracht – Ausnahme der eigene Klub, der mir eine Kabane geschenkt hat. Den Benefit hat es erst 20 Jahre danach gegeben. Wenn du beruflich erfolgreich bist und auch auf einem anderen Gebiet okay warst. Du entgehst dem Stereotyp, das Uni-Leuten entgegen gebracht wird: Naja, das ist so ein elfenbeintürmiger Eierkopf, der vom wirklichen Leben keine Ahnung hat. In dem Kastl war ich nie.
Also hat Sie Ihr Sport im Leben weitergebracht. Wie kamen Sie zum Segeln?
Meine Eltern kamen vom Land und haben sich in der Stadt nicht wohlgefühlt. Von April bis Oktober waren wir dann in Neusiedl. Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder du liebst den See, oder du hasst ihn.
Segeln war in den 1960er-Jahren kein billiger Sport. War Ihr Vater reich?
Mein Vater hat in einer Werkstatt gearbeitet. Sein Chef hat am See ein kleines Boot gehabt. Der Vater hat es geputzt, poliert, gestrichen. Dafür durfte er segeln. Wir sind nicht auf die Butterseite gefallen. Mit viel Müh’ und Not haben sich meine Eltern eine Kabane gemietet. In den zwölf Quadratmetern sind wir dann zu viert gehockt, wenn es geregnet hat.
Wann war klar, dass Sie Talent haben?
Mit drei, vier Jahren bin ich aufs Boot gestiegen. Mit sechs, sieben Jahren habe ich begonnen, Regatten zu segeln. Ich bin ein kompetitiver Typ. 1969 war ich Weltbester unter zwölf Jahren. Da haben die anderen gesehen, dass da jemand Segeln liebt, und ich war immer ein harter Arbeiter.
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