Peter Filzmaier kommt mit dem Fahrrad zum Interview-Termin, wie es sich für einen Sportler gehört. Ganz Wissenschafter, der Filzmaier aber auch ist, vertraut er dabei auf die Unterstützung eines E-Motors. „Bei diesen Temperaturen ist es nicht schlecht, wenn man sich die Kraft einteilen kann.“
KURIER: Herr Professor, Sie sind die 10.000 Meter unter 33 Minuten gelaufen. Das ist kein Hobbysport mehr.
Peter Filzmaier: Ich war einer dieser Verrückten, die sehr ernsthaft für Volksläufe trainiert haben. Weil bei allem Respekt zum Beispiel vor dem Stammersdorf Winzerlauf, es ist ja wahrlich nichts Weltbewegendes dort zu gewinnen. Und da trainiert man in manchen Wochen über 100 Kilometer mit langen Läufen und Intervalltraining. Ich gebe zu, mein Stolz ist die 10-Kilometer-Bestzeit mit 32:57. Und dann gab es noch die 1:12 im Halbmarathon. Aber das ist Zeitgeschichte. Das war im vorigen Jahrhundert.
Marathon sind Sie nie gelaufen?
Ich wollte immer einen Marathon laufen und habe das auch geschafft – in weit über drei Stunden. Erst danach habe ich Laufsport gelernt. Dann war der Marathon nur noch mit Zeitziel interessant – und da bin ich immer kläglich gescheitert. Auch an der eigenen Dummheit mit einem Bestzeitversuch bei großer Hitze in der Prater-Hauptallee.
Warum dieses Buch?
Es ist die späte Erfüllung eines Bubentrams und die Verbindung von meinem Hobby und Wissenschaft. Einerseits wollte ich wirklich als kleiner Bub immer Sportreporter werden. Und ich habe meine Doktorarbeit vor vielen Jahrzehnten über politische Aspekte der Olympischen Spiele geschrieben, allerdings in furchtbaren Wissenschaftsdeutsch und Wissenschaftsenglisch. Und dieses Buch mir von der Seele zu schreiben mit Sportleidenschaft und Politikbezügen, das wollte ich immer schon.
Sport, besonders olympischer Sport und Politik gehören zusammen ...
Es ist eine der dümmsten Aussagen, von einem unpolitischen Sport zu reden. Frieden, Völkerverständigung und Antidiskriminierung stehen in den Statuten der Sportverbände. Das sind zutiefst politische Ziele. In der olympischen Neuzeit hat man sich halt oft mit Semi-Demokraten, Anti-Demokraten oder sogar Massenmördern arrangiert.
In Paris herrschen derzeit keine Diktatoren. Wie politisch sind die Spiele 2024?
Sie sind vielfach politisch, wie in jedem Veranstalterland Sportveranstaltungen eine Bühne für die Regierenden sind. Aber alleine die Entscheidung, ob man russische Sportler zulässt oder nicht, ist zutiefst politisch. Wie gehe ich um mit dem nationalen Olympischen Komitees Palästinas? Sportler aus arabischen Ländern treten nicht gegen Israelis an. Die Sicherheitsmaßnahmen sind ein Großprojekt wie die Spiele selbst ...
Man spricht ja auch vom Olympischen Frieden? Ist so gesehen der Ausschluss von Russland richtig?
Wenn ich in den Statuten des IOC Frieden als Ziel habe, dann geht sich ein Land, das seinen Angriffskrieg gegen ein anderes Land führt, einfach nicht aus. Wenn das IOC aber seine Maßstäbe konsequent auslegt, würden es mit dem Ausschließen nicht mehr nachkommen. Denn wir haben rund 200 Nationen, davon sind aber nur 70 oder 80 Demokratien. Deshalb vollzieht das IOC alle vier Jahre einen Eiertanz.
Sie bezeichnen neutrale Athleten als „faulen Kompromiss“.
Es gibt keine Hymne und keine Flaggen. Aber wie kann man neutral sein, wenn mein Land gerade Krieg führt? Entweder man ist dafür oder dagegen. Dass Kriegsgegner zu den Olympischen Spielen reisen, ist eine Illusion. Denn die russischen Grenzbehörden sind humorlos und jemand, der sich gegen den Krieg deklariert, wird kaum normal ausreisen können.
Kann Sport oder Olympia so etwas wie ein Ersatzkrieg sein?
Das ist er teilweise. Es wird von der Politik dankbar so inszeniert, weil es ein Ersatzkrieg ohne Risiko ist. Das haben früher der Westen und der Ostblock statt dem Rasseln mit Atomwaffen gemacht.
Auf der anderen Seite kann Sport auch verbindend sein ...
Das sind positive Ziele. Und es gibt kleine Erfolgsbeispiele. China und Taiwan sind gemeinsam bei Sportveranstaltungen vertreten. Diese Beispiele sind aber weniger als die großen Sündenfälle der politischen Bewegung. Wie etwa die Inszenierung der Nazi-Spiele 1936 oder 1976, als die afrikanischen Staaten die Spiele wegen des Rassismus im Sport boykottiert haben. Und warum muss man an Peking oder Sotschi Veranstaltungen vergeben? Das sind nicht die klassischen Wintersport-Orte.
Warum?
Es gibt Milliarden Gründe dafür. Das ist einfach auch ein Wirtschaftsereignis.
Der Anschlag 1972 hat die Sport-Welt verändert ...
Aber ’56 gab es schon Boykottbewegungen wegen der Suez-Krise, die Spiele ’68 waren unter dem Eindruck der Black-Power-Bewegung. Die Nazi-Spiele ’36 und der Anschlag in München waren nur die Spitzen eines Eisbergs laufender politischer Instrumentalisierung.
Abgesagt wurden die Spiele aber nur 2020 wegen Corona.
Das stimmt so nicht, ’40 und ’44 während des Weltkrieges wurde natürlich abgesagt. Wobei es 1939 Bemühungen gab, doch die Winterspiele durchzuführen. Ausgerechnet in Garmisch-Partenkirchen in Nazi-Deutschland. Man muss aber auch bedenken: Es wäre ja nichts gewonnen, wenn es die Olympischen Spiele nicht mehr gäbe. Das Problem ist eher, dass das IOC nicht bereit ist, seine Gigantomanie abzuschaffen. Und es wäre schon etwas geglückt, wenn man Olympia nicht mehr an Diktaturen vergibt.
Sie kritisieren in Ihrem Buch auch etwa die aus internationaler Sicht absolut geglückten Spiele 2012 in London.
Die britische Regierung hat versprochen, dass die Olympia-Quartiere dann zu neuen Sozialwohnungen werden. Das Einzige, was passiert ist, ist, dass für sehr, sehr reiche Leute ein neues Luxus-Viertel entstanden ist. Man soll solche Spiele ja machen, man kann aber auch auf Missstände hinweisen. Etwa in Athen. Ich bin hingefahren, wo 2004 die Spiele waren und es geheißen hat, dass neue Stadtteile entstehen. Das ist furchtbar, da stehen nur Bauruinen. In Albertville 1992 hat man Abfahrtspisten in den Berg gesprengt, obwohl gegenüber schon eine war. Wenn das Nachhaltigkeit ist ...
Warum kommen die österreichischen Olympia-Helden aus dem Skisport? Sailer, Klammer, Maier, ...
Das ist doch klug. In einer wirklichen Weltsportart werden wir als kleines Land schwer permanent vorne dabei sein können. Also konzentrieren wir uns mit unserem Wir-Gefühl auf eine Sportart, die im engsten Sinne keine zehn Nationen professionell betreiben, wenn wir den Abfahrtslauf anschauen. Das macht Sinn, man soll es nur nicht ganz unrealistisch sehen. Es ist in Österreich am Rande des Landesverrats, aber Anna Kiesenhofer, die im Radsport, einer wirklichen Weltsportart Gold geholt hat, spielt für mich zumindest in derselben Liga wie die Skifahrer.
Was fasziniert Sie an Anna Kiesenhofer?
Ihre etwas andere Art. Wie sie sich verweigert hat, wie ihr die Interviews unangenehm waren. Mir hat gefallen, dass sie sich nicht zwangsvereinnahmen wollte.
Wären Olympische Sommerspiele in Wien möglich?
Klar. Aber nur nach einer Volksabstimmung. Es gibt Pro und Contra. Ich bin nicht in jedem Fall für Volksabstimmungen, aber bei Einzelereignissen ist das sehr wichtig. Vor zwei Jahrzehnten gab es ja schon eine Diskussion darüber. Man darf das nicht nach Gefühl entscheiden, sondern nach einem sachlichen Diskurs. Jede Entscheidung ist zu akzeptieren.
Sie wollten immer Sportreporter werden. Hätten Sie Interesse in der KURIER-Sportredaktion ...
Leider habe ich schon einen Job, der mir viel Spaß macht. Und ich mache ja als Freelancer viel im Sport. Ich mache einen Sport-Podcast, ich habe Sport-Bücher geschrieben, ich halte Sport-Vorträge. Das ist ein unglaubliches Privileg. Aber prinzipiell ja. Machen Sie mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann. Ich liebe aber auch meinen Hauptberuf.
In Social Media äußern Sie sich nur zum Sport, nicht zur Politik. Warum?
Da geht es um den Faktor Zeit. Wenn ich zu meinem Hauptberuf Politikanalysen aktiv wäre, würden die Menschen zurecht erwarten, dass ich das regelmäßig und professionell mache. Aber dafür habe ich kein Team. Bei meinem Hobby Sport kann ich auch einmal drei Wochen nicht aktiv sein.
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