Aus Geldnot kam die Rennfahrerin Jessica Hawkins in die Stunt-Szene, wo sie für 007 hinter dem Lenkrad sitzt. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Karriere.
Erst eine Lüge brachte die Karriere von Jessica Hawkins so richtig ins Rollen. Die Britin benötigte Geld, um ihre Leidenschaft, den Motorsport, weiter finanzieren zu können. Dabei stieß sie auf eine Anzeige. Gesucht wurden Stuntfahrer für die Fast & Furious-Liveshows, eine Art Holiday on Ice für Benzinbrüder und -schwestern.
Beim Vorstellungsgespräch wurde Hawkins gefragt, ob sie denn die Techniken beherrsche: Driften, Donuts, das Auto im Eiltempo über Rampen steuern. „Ich sagte: ‚Ja, klar!‘ Es war meine einzige Chance“, erinnert sich die mittlerweile 25-Jährige im Telefongespräch mit dem KURIER. Nichts von all dem hatte sie je wirklich gemacht.
Einen Tag vor der zweiten Castingrunde, in der die Fahrzeugbeherrschung auf einem Parcours vorzuführen war, absolvierte Hawkins einen einstündigen Schnellkurs in Sachen Autostunts. Mit Erfolg. Sie bekam den Job – und die Chance auf eine zweite Karriere.
Lizenz zum Schweigen
Heute wartet sie sehnlichst auf den bereits mehrmals verschobenen Start des neuen James-Bond-Films „Keine Zeit zu sterben“, in dem sie als Stuntfahrerin hinter dem Steuer sitzt. Ihre Ungeduld hat einen ganz pragmatischen Grund: Ihr persönliches und berufliches Umfeld löchert die Britin mit Fragen zu dem Blockbuster. Doch auch Jessica Hawkins hat – wie alle Mitglieder der Filmcrew – die Lizenz zum Schweigen. „Ich kann nur so viel sagen: Die Autoszenen enttäuschen nicht.“
Ein bisschen was ist aus Trailern und Werbungen bereits bekannt. Hawkins und Kollegen lassen einen 2,3 Tonnen schweren Geländewagen scheinbar mühelos durch die britische Hügellandschaft fliegen. „Die Ästhetik der Verfolgungsjagden in den Bond-Filmen ist für viele Fans ja essenziell“, sagt Hawkins zur weltweiten Erwartungshaltung.
Mit Druck hat die 25-Jährige Zeit ihres Lebens umgehen gelernt. Der Rennsport sei dafür eine gute Schule gewesen. Ansonsten sind ihre beiden Professionen nur bedingt miteinander zu vergleichen. „Was ähnlich ist, ist das zentimetergenaue Fahren. Aber im Rennauto fährst du nur für dich und gegen alle anderen. In der Stunt-Branche arbeitest du im Team. Damit eine Szene gelingt, sind Dutzende Menschen nötig.“
In erster Linie handelt es sich um Männer. Schon beim Bond-Casting war die langjährige Tourenwagen-Pilotin die einzige Frau. „Das hat mich schon ein wenig überrascht“, gibt sie zu. Ihre Sonderrolle ist nun ein Trumpf. „Der Film hat mir schon jetzt einige Türen geöffnet.“ Nicht nur Autotüren.
Der Hersteller jenes Geländewagen, mit dem sie durch den Bond-Streifen kurvt, hat sie prompt als Markenbotschafterin verpflichtet. Eine Frau am Steuer – das scheint für die Gesellschaft in manchen Situationen noch immer exotisch.
Der Rennsport ist da keine Ausnahme. Jessica Hawkins war schon oft „die Einzige“, wie sie es nennt. „Ich habe das in der Kart-Szene aber nie als schlimm oder unangenehm empfunden. Aber ich war auch noch ein Kind und habe vielleicht nicht jeden Kommentar mitbekommen.“
Statt im Rahmenprogramm der DTM startet die Frauen-Klasse „W Series“ heuer im Vorfeld der Formel 1. Der Auftakt erfolgt am 26. Juni in Frankreich. Insgesamt sind acht Stationen geplant.
Die Pilotinnen fahren alle mit dem gleichen Material, der Bolide entspricht einem Formel-3-Wagen mit 270 PS. Die Premiere 2019 gewann die Britin Jamie Chadwick, Landsfrau Jessica Hawkins wurde Elfte unter zwanzig Starterinnen.
Gleichgesinnte gefunden hat sie 2019 in der Formel W. Die reine Damen-Rennserie erfährt heuer eine enorme Aufwertung, indem sie Teil der Formel 1 wird. Der Startschuss ist für 26. Juni in Frankreich angesetzt, eine Woche später folgt Spielberg.
Unausweichlich scheinen da die Fragen nach einer Pilotin in der Königsklasse. „Es wird irgendwann passieren. Nur ich werde es vermutlich nicht sein. So realistisch muss man sein“, sagt Hawkins, die mittlerweile auch junge Kart-Fahrer betreut.
Ihre Spuren in der Motorsportgemeinde hat sie dennoch längst hinterlassen – nicht nur als Stuntfahrerin. Vor zwei Jahren sorgte sie für einen offiziellen Weltrekord, indem sie 243 km/h schnell fuhr. Mit einem Rasenmäher (siehe Video unten).
Kommentare