Formel E: Gezielte Stromschläge, die unter die Haut gehen

Formel E: Gezielte Stromschläge, die unter die Haut gehen
Die Formel E zeigt in Paris, was sie ist: Eine inszenierte Show und ein chaotisches Spektakel mit einem neuen Sieger.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft trennen an manchen Tagen nur ein paar Schritte. Dort, wo Weltgeschichte in Form von Napoleon Bonaparte begraben liegt, saust keine hundert Meter entfernt die Zukunft mit bis zu 280 Kilometer pro Stunde vorbei.

Beim ePrix von Paris rund um den Invalidendom zeigt sich die vollelektrische Formel E in ihrer ganzen Pracht. Dafür gibt es gute Gründe. Historisch gesehen wurde die Formel E in der französischen Hauptstadt überhaupt erst erdacht. Es war vor acht Jahren in einem Pariser Nobelrestaurant , als der ehemalige EU-Politiker Alejandro Agag, dessen spanischer Landsmann und Geschäftspartner Alberto Longo sowie Jean Todt, der Präsident des Weltautomobilverbandes FIA, die Idee einer vollelektrischen Rennserie skizzierten. Auf einer Serviette, die heute in dem Lokal eingerahmt zu bestaunen ist, ließ sich Agag schriftlich den Chefposten zusichern, sollte die Formel E je Realität werden.

Formel E: Gezielte Stromschläge, die unter die Haut gehen

Die Zukunft

Noch heute bestimmen Agag und Longo Tempo und Richtung der Formel E. In der aktuell laufenden fünften Saison sind die Batterien der Rennwagen erstmals so leistungsstark, dass ein Fahrzeugwechsel zur Rennmitte nicht mehr nötig ist. Ein wichtiger Meilenstein, der dennoch nicht das Ende der Entwicklung bedeuten soll.

Im Gespräch mit dem KURIER skizziert Mitbegründer Alberto Longo die Pläne für Saison Nummer zehn: In ein paar Jahren sollen die Ladevorgänge der Akkus dermaßen beschleunigt werden, dass bei einem Boxenstopp binnen Sekunden Energie „aufgetankt“ wird, die für fünf oder sechs Extrarunden reicht. Gleichzeitig sollen die Boliden erstmals mehr als 300 km/h schnell werden.

Formel E: Gezielte Stromschläge, die unter die Haut gehen

Ex-Formel-1-Pilot Pascal Wehrlein kam nicht ins Ziel.

Die Voraussetzung

Für die großen Hersteller klingen diese Visionen verheißungsvoll. Für sie ist die Formel E eine Wette auf die Zukunft – und zwar eine erstaunlich kostengünstige. Jedes der elf Teams darf am Saisonende zumindest einen kleinen Gewinn einkalkulieren. „Das ist entscheidend, um ein gesundes Starterfeld zu haben“, sagt Longo. Viele Einheitsbauteile an den Rennwagen drücken die Gesamtausgaben. Ein Wettrüster der Großkonzerne fürchtet der Spanier nicht: „Die Meisterschaft muss ausgeglichen sein, das ist eine Grundvoraussetzung für uns. Alle, die bei uns mitmachen, haben das zu akzeptieren.“

Bereits jetzt versammelt die Formel E in ihrer Boxengasse mehr Autobauer als jede andere Rennklasse, die unter der Schirmherrschaft der FIA ihren Meister ermittelt. Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff, der ab kommender Saison ein Werksteam an den Start bringt, vergleicht die Formel E mit einem „Start-up“.

Auch FIA-Boss Todt ist mit dem Wachstum zufrieden: „Man sieht, wie die Automobilhersteller unseren Weg unterstützen. Das ist ein wichtiges Zeichen und gibt uns Stabilität“, sagt er in der Auto Bild Motorsport. „Sportlich ist die Formel E stark aufgestellt“, ergänzt der Franzose. Die laufende Meisterschaft untermauert diese These. Der ePrix von Paris war ein aberwitziges Spektakel mit Sonne, Hagel, Sturm, Unfällen und Safety-Cars. Mit Robin Frijns (NED) gewann auch das achte Saisonrennen ein anderer Pilot.

„Wir wollen Dominanzen, wie wir sie in der Formel 1 haben, verhindern. Wir wollen Kosten reduzieren, weil wir das Gefühl haben, die Formel 1 ist zu teuer“, sagt Jean Todt. Nicht nur deshalb lohnt ein Vergleich (siehe oben). Auch die Königsklasse dreht sich an diesem Wochenende auf einem Stadtkurs in Baku im Kreis (siehe rechts unten). Für die Formel E ist die Nähe zu den Menschen und Hausmauern essenziell. „Wir wollen vorrangig in die Hauptstädte, und dort ins Zentrum“, erklärt Alberto Longo. Mittlerweile sollen 104 Metropolen Interesse bekundet haben, künftig einen ePrix zu veranstalten.

Die Benchmark

Paris gilt als Benchmark. Stadt und Land glauben an die E-Mobilität. In Europa wurden seit 2010 nur in Norwegen noch mehr Elektroautos zugelassen.

Das pulsierende Stadtleben breitet sich unmittelbar hinter der Streckenbegrenzung aus, Eiffelturm und Triumphbogen sind weniger als zwei Kilometer von der Ziellinie entfernt. Die Fanzone, genannt E-Village, gleicht einem Erlebnispark für die Generation YouTube: Videospiel-Simulatoren auf der einen Seite, Fastfood-Stände auf der anderen. Dazwischen präsentieren Nissan, BMW und Konkurrenten die neuesten Errungenschaften ihrer elektrischen Ingenieurskunst. Von den DJ-Pults dröhnen Bässe in Endlosschleife. Auch bei der Vermarktung gibt es keine Kompromisse, wie Formel-E-Mann Alberto Longo betont: „Die TV-Einschaltquoten sind zufriedenstellend, aber unser Hauptaugenmerk liegt auf Social Media. Dort sind unsere Fans zu Hause.“ Die Besucher werden dauerbeschäftigt, an jeder Ecke lauern Ablenkungen. Es gilt keine Zeit zu verlieren, denn nach nur einem Tag (Samstag) ist der Spaß auch schon wieder vorbei, hat die Stadt ihre Straßen zurück – und Napoleon wieder seine (letzte) Ruhe.

INFO: Die Reise nach Paris wurde von voestalpine organisiert.

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