Das letzte Wunder der Formel 1
Erfolgsgeschichten in der Formel 1 beginnen immer mit Geld. So auch diese. Der große Unterschied ist, dass in diesem Fall sehr wenig Geld nötig war für eine Sensation. Ein Pfund Sterling, um genau zu sein.
Um diesen symbolischen Betrag erwarb Ende 2008 der damalige Chefingenieur Ross Brawn die Reste des Honda-Rennstalls, nachdem der japanische Autokonzern nach erfolglosen Jahren die Lust an der Königsklasse verloren hatte.
Das Pfund war gut investiert. Denn was im Winter 2008 noch niemand ahnen konnte: Wenige Monate später war aus dem Schnäppchen ein Weltmeisterteam geworden. Vor ziemlich genau zehn Jahren, am 18. Oktober 2009, sicherte der Brite Jenson Button beim Rennen in Brasilien dem BrawnGP-Rennstall die Weltmeisterschaften bei Fahrern und Konstrukteuren.
Es war ein Märchen im doppelten Sinn. So überraschend die Beschleunigung der ehemaligen Honda-Boliden kam (der Techniker Ross Brawn hatte eine Grauzone im Reglement entdeckt und genutzt), so unverhofft war auch der Aufstieg von Jenson Button zum Fahrer des Jahres. Die Karriere des damals 29-Jährigen schien bereits auf die Zielgerade zuzusteuern, ehe sie mit dem WM-Titel noch einmal so richtig Fahrt aufnahm.
Button, der davor 114 Rennen lang auf seinen ersten Rennsieg warten hatte müssen, beendete die Saison 2008 mit Honda nur auf Rang 18. Doch aus Honda, das 2005 als vielversprechendes Werksteam-Projekt an den Start gegangen war, wurde BrawnGP, und aus Button wurde ein Weltmeister.
Den Grundstein legte der Rennstall bereits zu Saisonstart, beim Auftakt in Australien feierte Button den erst zweiten Sieg seiner Karriere. „Surreal“ nannte der Engländer damals die sich überschlagenden Ereignisse in der Königsklasse, nachdem er Wochen zuvor im Winter noch ohne Arbeitgeber dagestanden war. Surreal sollte es bleiben. Der feinfühlige Pilot gewann in seinem überlegenen Rennwagen sechs der ersten sieben Grands Prix.
Was heute vermisst wird
Doch der Vorsprung auf die Konkurrenz schmolz mit jeder Woche. Die Saison 2009 hatte nicht nur eine Sensation zu bieten. Die Erfolgsgeschichte von Brawn und Button zeigte auch, was die Formel 1 vor gar nicht so langer Zeit noch zu bieten hatte: Unberechenbarkeit, Ausgeglichenheit, Anarchie.
Es war ein Jahr, in dem sechs Fahrer von vier verschiedenen Teams ein Rennen gewinnen konnten und Piloten von acht Rennställen auf der Poleposition gestanden waren. Bis auf Toro Rosso hatten alle Teams entweder einen Grand Prix angeführt oder den Sprung aufs Podium geschafft.
Davon ist man zehn Jahre später meilenweit entfernt. Red Bull, Ferrari und Mercedes dominieren die Rennserie nach Belieben. Von den jüngsten 213 Podesträngen gingen nur drei (!) dritte Plätze nicht an die drei Top-Teams. Vor allem Mercedes, das Nachfolgeteam von BrawnGP, fährt die Formel 1 seit Anbeginn der Hybrid-Ära 2014 in Grund und Boden.
Erst am vergangenen Sonntag in Japan sicherten Lewis Hamilton und Valtteri Bottas den Silberpfeilen den sechsten Konstrukteurstitel nacheinander. Eine ähnliche Siegesserie kann nur ein weiteres Team vorweisen: Ferrari mit Michael Schumacher (1999-2004).
Bei Mercedes hat man seit der Übernahme von BrawnGP Ende 2009 Milliarden in das Projekt investiert, allein im Vorjahr belief sich das Saisonbudget auf 350 Millionen Euro. Ohne großen Autokonzern oder Gönner (Red Bull) im Rücken, kommt man in der Königsklasse kaum mehr vom Fleck. Selbst eine traditionsreiche Marke wie Williams, seit 1977 erfolgreicher Teilnehmer am Kreisverkehr, wird mittlerweile Rennwochenende für Rennwochenende überrundet. Wie einst Jenson Button ist Williams auf ein Wunder angewiesen. Ein Pfund wird jedoch nicht ausreichen.
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