Burgtheater-Chef: "Handball-Dramen, mit Polizeischutz und Provokationen"
Theater-Mann Martin Kušej über seine Zeit auf dem Klagenfurter Handball-Parkett, seinen geschundenen Körper und warum die Deutschen am Samstag im EM-Duell demütig sein werden.
Gleich zur Begrüßung hält Martin Kušej fest, dass er nur mehr sehr selten Interviews gibt. Für Handball mache der Burgtheater-Direktor aber gerne eine Ausnahme. Mehr als zehn Jahre spielte der 62-jährige Kärntner in Österreichs erster und zweiter Liga.
Selbst in seiner Zeit als Regieassistent in Slowenien trainierte er noch bei Olimpia Ljubljana mit, "eine Weltklasse-Mannschaft mit Olympiasiegern und Weltmeister, von denen ich so viel lernen durfte".
KURIER:HerrKušej, wie kam der Handball in Ihr Leben?
Martin Kušej: Ich habe in meinem Dorf lange Fußball gespielt. Ich wollte aber immer irgendwie raus und in die Stadt, nach Klagenfurt. Der Handball hat mir das ermöglicht, nachdem mich ein Schulkollege einmal mitgenommen hat. Die 40 Kilometer zum Training dreimal pro Woche bin ich mit dem Bus oder per Anhalter gefahren. Den Eltern war’s egal, die haben gesagt: Mach’, was du willst, solange es in der Schule passt.
Das ging recht flott. Ich war groß, schnell und athletisch. Nach drei, vier Jahren habe ich in der ersten Mannschaft von SVVW Klagenfurt gespielt.
Was hat Ihnen am Handball gefallen?
Die Komplexität des Spiels, weswegen sich Handball massiv unterscheidet vom Fußball. Wobei ich noch immer auch vom Fußball begeistert bin, aber es ist wirklich eine völlig andere Art von Spiel, von Schnelligkeit, von Möglichkeiten, die sich eröffnen. Wenn man sich jetzt die EM-Spiele anschaut, dann hat das natürlich mit dem, was wir damals auch schon auf einem recht hohen Niveau gespielt haben, nichts mehr zu tun. Wir waren auch fit, aber die heutige Intensität über 60 Minuten hat etwas Beeindruckendes.
Gehen Sie noch in die Handball-Halle?
Jetzt wieder. Als ich nach Wien gekommen bin, haben sich ein paar alte Freunde von mir gemeldet. Und ich habe plötzlich einen Teil meines Lebens wiederentdeckt, der fast 30 Jahre lang nicht präsent gewesen ist. Ich empfand es als wirklich schön, ein so wichtiges Kapitel meines früheren Lebens auf einmal wieder präsent zu haben. Und deshalb bin ich jetzt auch so daran interessiert, ganz klar zu zeigen, dass es mich wahnsinnig freut, was gerade im österreichischen Handball passiert.
Wie verfolgen Sie ein Spiel? Emotional? Mit den Augen eines Ex-Spielers?
Das Handball-Gen ist tief in mir drinnen. Ich bin mit Leib und Seele dabei, wenn ich zuschaue. Und ich sehe, wie hart das ist, und was für Kerle das sind, die diesen Sport betreiben. Ebenfalls kein Vergleich mit Fußball.
Ist das Glücksgefühl nach einem Sieg vergleichbar mit jenem nach einer gelungenen Aufführung?
Das Adrenalin, das ist wirklich ein zentraler Begriff, weil Handball so ein mitreißender Sport ist. Ich erinnere mich an die berüchtigten Spiele gegen Bärnbach/Köflach. Was für große Dramen mit vollen Tribünen, Polizeischutz und Provokationen. Einfach mega! Und dieses Gefühl, bis unter die Haarspitzen motiviert zu sein und auch noch Tore zu machen, das ist unvergesslich. Im Theater ist es ähnlich, wenn auch breiter, nicht so punktuell. Ich verdanke dem Handball aber auch etwas anderes.
Was denn?
Dank der Reisen zu internationalen Turnieren habe ich früh Europa kennengelernt. Es war damals nicht selbstverständlich etwa in die DDR zu kommen. Und meine Liebe zu Triest wäre ohne Handball wohl überhaupt nicht entstanden.
Welche Positionen haben Sie gespielt? Es heißt, Sie waren ein gnadenloser Verteidiger.
Verteidigung war sicher mein Spezialgebiet. Ich habe zu spät kapiert, dass eigentlich Kreisläufer die beste Position ist, aber wenn man jung ist, will man natürlich immer im Rückraum spielen.
Was hat Ihnen gefallen am Kreisspiel?
Im Grunde ist es der krönende Abschluss eines perfekten Angriffs, wenn zum Schluss der Kreisläufer freigespielt wird und zum Wurf kommt.
Welche Spuren hat der Handballsport an Ihrem Körper hinterlassen?
Zwei operierte Hüften verdanke ich dieser Zeit. Es gibt keinen Finger, der nicht einmal gebrochen oder ausgerenkt gewesen ist. Ich habe im Zuge des Wiedersehens alter Kollegen gemerkt, dass der tägliche Freund von allen Voltaren und Ibuprofen heißt. Aber ich blicke ohne Reue zurück, ich würde alles wieder so machen. Vielleicht bei der Trainingssteuerung würde man heute vieles anders machen. Wir haben damals trainiert wie Höhlenmenschen.
Wer hat denn das gnädigere Publikum? Das Theater oder der Handball?
Gnädiger im Sinne von Motivieren und Unterstützen ganz sicher der Handball. Parallelen erkenne ich dennoch einige. Einiges aus meinem Handballer-Leben hat mir am Theater auch geholfen.
Zum Beispiel?
Beides ist Teamarbeit. Im Handball ist Talent nicht alles, das fand ich immer tröstlich. Die Psyche spielt eine ganz große Rolle. Und zwar eine kollektive Psyche. Ich habe es oft erlebt, dass wir, obwohl wir als bessere Mannschaft aufs Feld gegangen sind, schon von vorneherein das Gefühl hatten, das wird heute nichts. Ich habe erst viel später verstanden, dass man im psychologischen Bereich sehr viel bewegen kann als Trainer. Und dass das gar nicht mit den technischen Fertigkeiten etwas zu tun hat, wie gut du eine Mannschaft einstellst. Das sieht man ja derzeit bei der österreichischen Mannschaft.
Was meinen Sie?
Da entsteht gerade etwas Großes. Der Trainer, den ich anfangs eher kritisch verfolgt habe, macht einen mega Job. Die Jungs können scheinbar Berge versetzen. Das finde ich absolut beachtlich und bemerkenswert, ich freue mich sehr darüber. Schreiben Sie das bitte genau so!
Sie haben einmal in einem Interview gesagt, Sie interessieren sich in Ihrer Arbeit für erfolgreiche Fußballtrainer. Was meinten Sie damit?
Ich beschäftige mich lange mit der deutschen Bundesliga und natürlich verfolge ich Ralf Rangnick. Er ist das beste Beispiel dafür, was ein intelligenter, wissenschaftlich geschulter, aber oft auch infrage gestellter Trainer aus einer talentierten Mannschaft herausholen kann. Es gibt ein paar Vorbilder, Christian Streich vom SC Freiburg oder Hans Meyer, der Kulttrainer von Nürnberg und Gladbach, mit dem mich eine Freundschaft verbindet. Ein sehr kluger Mensch, mit dem man hervorragend über Theater reden kann.
Heute spielt Österreich bei der EM gegen Deutschland, einige bezeichnen es als „Spiel ihrer Karriere“. Das kann nur schiefgehen, oder?
Das wird nicht schiefgehen. Da gibt es für mich keine Frage, das muss gewonnen werden.
Sie haben lange in Deutschland gearbeitet und gelebt. Wie sehen Sie die Rivalität?
Ich glaube, dass diese Großkotzigkeit der Deutschen schon lange vorbei ist. Gerade das jüngste Fußballergebnis, der 2:0-Sieg der Österreicher, hat gezeigt, dass die Deutschen sehr demütig geworden sind. Das wird man am Samstag sehen.
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